Solingen: Wie Deutschland die Abschiebung des Tatverdächtigen verschlampte
Trauer, Wut und weitere Versprechen nach Terroranschlag in Solingen - Kanzler Scholz will bei Abschiebungen nun Beschleunigung und "konsequente Vollzugstätigkeit"
Montagfrüh bekundete Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Trauer über die drei Todesopfer des Messerattentats von Solingen. Er und andere Politiker – darunter Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) – legten jeweils eine weiße Rose an der improvisierten Gedenkstelle in der Solinger Innenstadt ab. Im Anschluss daran kündigte Scholz einmal mehr Konsequenzen an – wie schon nach dem Messermord an einem Polizisten in Mannheim Anfang Juni.
In Solingen stellte Scholz eine rasche Verschärfung des Waffenrechts in Aussicht. Abschiebungen müssten "notfalls mit rechtlichen Regelungen" weiter beschleunigt werden, sagte Scholz. Zugleich müsse man Abschiebungen auch "konsequent" vollziehen.
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Im Fall von Issa al-H., des mutmaßlichen Attentäters von Solingen, war das offenkundig nicht der Fall. Wie berichtet, hätte der Syrer schon im Juni 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen – in jenes Land, über das er in die EU eingereist war. Weil die deutschen Behörden den 26-Jährigen am Tag der geplanten Abschiebung nicht in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn antrafen, unterblieb die Überstellung nach Bulgarien.
Keine Suche nach Issa al-H.
Am Montag mehrten sich die Indizien, dass die deutschen Behördenvertreter auch nicht wirklich nach Issa al-H. gesucht hatten. Der Syrer sei nur am Tag des Abschiebetermins nicht in der Unterkunft gewesen, berichteten mehrere deutsche Medien. Davor und auch danach sei er in Paderborn gesehen worden, wie auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen (NRW), Herbert Reul (CDU), bestätigte.
Zur Festnahme ließ die zuständige Ausländerbehörde in Bielefeld Issa al-H. ebenfalls nicht ausschreiben, weil er unauffällig gewesen sein solle und ohnehin zu wenig Abschiebehaftplätze verfügbar gewesen seien, berichtet der "Spiegel". Hätte Issa al-H. offiziell als "flüchtig" gegolten, hätte sich die Frist für eine Überstellung nach Bulgarien von sechs auf 18 Monaten verlängert.
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Galerie ansehenSo aber lief die Frist Ende 2023 ab. Laut "Bild" meldete sich Issa al-H. vier Tage nach Auslaufen der Frist wieder bei den Behörden – und bekam "subsidiären Schutz" zugesprochen. Das ist ein Status für Geflüchtete, die keine direkte persönliche oder politische Verfolgung in ihrem Heimatland nachweisen können, dorthin wegen Gefahr für Leib oder Leben (etwa aufgrund von Krieg) aber auch nicht abgeschoben werden können. Issa al-H. wurde statt nach Bulgarien nach Solingen überstellt.
"Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit auf den Tisch", sagte am Montag NRW-Ministerpräsident Wüst.
"Hinterrücks eingestochen"
Gegen Issa al-H. wird nun unter anderem wegen Verdachts des Mordes und der Mitgliedschaft beim IS ermittelt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, dass er plante, "eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten". Er habe mit einem Messer "hinterrücks wiederholt und gezielt auf den Hals- und Oberkörperbereich" von Besuchern des Stadtfestes eingestochen. Drei Menschen wurden getötet, acht Menschen verletzt, vier davon schwer.