"Wichtiges Signal": Merkel erstmals in Auschwitz
Heikler Besuch kurz vor dem 75. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers in Polen.
"Eigentlich gebietet es dieser Ort, zu schweigen. Aber ich bin sicher, dass der deutsche Bundeskanzler hier nicht schweigen darf." Dies hat der damalige SPD-Kanzler Helmut Schmidt im November 1977 gesagt, als er als erster deutscher Regierungschef das ehemalige deutsche KZ Auschwitz in Polen besuchte.
Er fand damals starke Worte: "Wir heutigen Deutschen sind als Personen nicht schuldig, aber wir haben die politische Erbschaft der Schuldigen zu tragen, hierin liegt unsere Verantwortung. Wir wissen, dass wir nichts ungeschehen machen können, aber wir können Folgerungen für die Zukunft ziehen."
Nach Schmidt und Helmut Kohl, der das frühere NS-Vernichtungslager 1989 und 1995 besucht hatte, reist heute Kanzlerin Angela Merkel zum ersten Mal nach Auschwitz – wenige Wochen vor dem 75. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers.
Offizieller Anlass für Merkels Besuch ist das zehnjährige Bestehen der Stiftung Auschwitz-Birkenau, die sich für den Erhalt der Gedenkstätte einsetzt. Die Stiftung geht auf eine Initiative des früheren polnischen Außenministers und ehemaligen Auschwitz-Häftlings Wladyslaw Bartoszewski zurück.
Das Auschwitz-Komitee nennt Merkels Besuch ein "besonders wichtiges Signal" der Solidarität mit Auschwitz-Überlebenden, die heute in Europa "mit antisemitischen Beschimpfungen und Hassmails überzogen" würden. Die Kanzlerin hat konkrete Zusagen im Gepäck: Berlin will die Stiftung Auschwitz-Birkenau mit 60 Millionen Euro unterstützen.
Merkel hat in ihrer 14-jährigen Amtszeit mehrere frühere Konzentrationslager in Deutschland besucht und war fünf Mal in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Als erste deutsche Regierungschefin hielt sie 2008 eine Rede in der Knesset in Jerusalem. Sie betonte dabei, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei.
Merkel wird in Auschwitz vom polnischen Premier Mateusz Morawiecki sowie einem ehemaligen KZ-Häftling und Vertretern jüdischer Organisationen begleitet. Sie wird das Eingangstor des Stammlagers mit der zynischen Aufschrift "Arbeit macht frei" durchschreiten und eine Gedenkminute an der so genannten Todeswand abhalten, wo tausende Menschen von den Nazis erschossen wurden.
Befreiung am 27. Jänner 1945
Auschwitz-Birkenau war im Zweiten Weltkrieg im damals von Hitler-Deutschland besetzten Polen das größte Vernichtungslager der Nazis. Etwa 1,1 Millionen Menschen wurden dort ermordet, die meisten waren Juden. Auch 80.000 nicht-jüdische Polen, 25.000 Sinti und Roma sowie 20.000 sowjetische Soldaten wurden in dem Lager ermordet, das die Rote Armee am 27. Jänner 1945 befreite.