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Das Geld der Wittgenstein

Von Roman Sandgruber, 26. Februar 2011, 00:04 Uhr

Die Wittgenstein waren eine der reichsten, klügsten und gleichzeitig auch unglücklichsten Familien der späten Habsburgermonarchie. Mit Oberösterreich sind sie in vielfältige Beziehungen gekommen.

Die Wittgenstein kommen aus Westfalen. Moses Meier war Gutsverwalter bei den Grafen Sayn-Wittgenstein in Laasphe. Als Familienname wählte er nach seinem Arbeitgeber den Namen Wittgenstein. Den Reichtum der Familie begründete sein Sohn Herz Meier Wittgenstein, der seinen Vornamen auf Hermann eindeutschte und einen Wollhandel bei Leipzig aufmachte.

Durch die Heirat mit Fanny Figdor, der älteren Schwester von Gustav Figdor (1816–1879), der in Wien einen Holz- und Kohlenhandel (Jakob Figdor und Söhne) betrieb und ein Bankhaus gegründet hatte, kam er ins große Geschäft. Anlässlich der Hochzeit konvertierte das Paar in Leipzig vom Judentum zur evangelischen Konfession.

Alle elf Kinder, die zwischen 1840 und 1855 zur Welt kamen und evangelisch getauft wurden, darunter die Söhne Paul, Louis und Karl, spielen (mit Ausnahme der etwas behinderten Clothilde) in der österreichischen Wirtschafts- und Kulturgeschichte eine wichtige Rolle. Sie gehörten 1910 zu den tausend größten Steuerzahlern der Monarchie, von denen jeder im Jahr 1910 Jahreseinkommen zwischen 100.000 und einer Million Kronen versteuerte. Zum Vergleich: Der Ministerpräsident bezog damals 24.000, ein einfacher Arbeiter kaum mehr als 800 Kronen pro Jahr.

Hermann Wittgenstein hatte ihnen als Immobilienhändler, Generalpächter der Esterházyschen Güter und Partner der Figdorschen Handels- und Bank-Firma ein riesiges Vermögen hinterlassen. Die Töchter waren gute Partien. Ihre Männer wurden alle Millionäre.

Mit gefälschtem Pass

Die drei Söhne Paul, Ludwig (Louis) und Karl setzten die unternehmerische Karriere fort: Paul und Ludwig in der väterlichen Familie, im Holz- und Immobilienhandel und der Güterverwaltung. Ludwig, der 1910 ein Einkommen von 687.055 Kronen versteuerte, engagierte sich besonders in der evangelischen Armen- und Waisenfürsorge. Er gründete zum Beispiel Pflegeheime in Goisern und Schladming.

Karl war mit 18 Jahren 1865 aus dem Elternhaus ausgerissen und mit gefälschtem Pass und ohne Geld nach Amerika gegangen, wo er sich zwei Jahre als Nachhilfelehrer, Kellner oder Schiffssteuermann durchschlug. Nach der Rückkehr absolvierte er in Wien ein paar Technik-Semester und arbeitete dann als technischer Zeichner, bis ihn Paul Kupelwieser, der Schwager seiner Schwester Berta, 1872 in das Walzwerk Teplitz/Teplice holte. 1877 wurde er bereits Generaldirektor, 1884 hatte er die Aktienmehrheit der Böhmischen Montan-Gesellschaft, 1885/86 übernahm er auch die Prager Eisenindustriegesellschaft, und 1897 war er mit der Alpine Montangesellschaft Herr des größten Teils der Eisenwerke im Habsburgerreich.

Schon ein Jahr später legte er nach einer dreimonatigen Weltreise alle operativen Funktionen nieder und zog sich ins Privatleben zurück. Seit 1906 an Krebs leidend, starb er am 20. Jänner 1913. Seine acht Kinder, die er alle, obwohl selbst evangelisch, katholisch taufen ließ, waren reich und hoch begabt. Glücklich waren sie nicht.

Drei Söhne, wohl homosexuell, beendeten ihr Leben durch Selbstmord: Johannes (1877–1902), Konrad „Kurt“ (1878–1918) und Rudolf (1881–1904). Ludwig, der jüngste (1889-1951), wurde als Philosoph weltbekannt. Hermine, genannt „Mining“ (1874–1950), blieb unverheiratet, Helene, genannt „Lenka“ (1879–1956), heiratete ihren Cousin Dr. Maximilian Salzer, Margarethe (1882–1958) den Amerikaner Dr. Jerome Stonborough (Steinberger), der mit den Guggenheims, den bedeutenden US-Bergbauindustriellen, verschwägert war.

Margarethe (später: Margaret) erwarb 1913 aus dem Besitz des seit 1890 verschollenen und 1911 für tot erklärten Habsburgers Johann Orth um 335.000 Kronen die Villa Toscana in Gmunden. Sie ließ den Bau auf den modernsten Stand bringen: Elektrizität, Zentralheizung, sanitäre Einrichtungen, Speisenaufzug, zentrale Staubsaugeranlage.

Im Juni 1914 spendete Ludwig Wittgenstein aus seinem Erbanteil insgesamt 100.000 Kronen an die Künstler Rainer Maria Rilke, Else Lasker-Schüler, Albert Ehrenstein, Carl Dallago und Georg Trakl. Letzterer hat die für ihn unermesslich hohe Summe nie behoben. Angeblich wagte er es nicht, das Bankgebäude zu betreten.

Dann kam der Krieg. Trakl starb bereits am 3. November 1914 in Krakau. Ludwig Wittgenstein spendete eine große Summe für ein Geschütz und meldete sich als Freiwilliger. Noch während der Gefangenschaft in Italien entschied er sich, sein gewaltiges Vermögen unter seinen Geschwistern aufzuteilen und Dorfschullehrer zu werden. Konrad erschoss sich 1918 an der Front. Paul, später als „einarmiger Pianist“ weltberühmt, hatte nach Kriegsbeginn an der russischen Front einen Arm verloren.

Nach 1918 war das Vermögen der Wittgenstein ebenso schnell weg, wie es aufgebaut worden war: Paul und die anderen Geschwister hatten Riesensummen in Kriegsanleihen verloren. Nur Margaret und Jerome schienen durch ihre amerikanischen Verbindungen das Geld einigermaßen erfolgreich über die Inflation hinweggerettet zu haben.

Die Wittgenstein trafen sich oft auf der Toskana-Halbinsel, Margaret war jedes Jahr für Monate dort. Doch ab 1929 ging der Großteil ihres Vermögens in der Weltwirtschaftskrise verloren: „Wir haben sehr wenig Geld übrig behalten. Nach sorgfältigen Berechnungen stellt es sich heraus, dass ich noch gegen 30.000 Dollar jährlich behalten werde. Nun bin ich, wenn wir das Haus in Wien durch Vermietung anbringen, Gmunden entpersonalisieren, in eine kleine Wohnung ziehen, die Dienstleute bis auf drei entlassen, und einen Teil meiner Bilder verkaufen, wie mir scheint aus dem Wasser …“

30.000 Dollar im Jahr waren aber noch immer genug für einen großen Packard, der 40 Liter verbrauchte, einen Chauffeur, eine Köchin, zwei Dienst- und ein Extramädchen, einen Portier und eine Gouvernante. Aber mehrere Immobilien und ein Teil der Kunstsammlung wurden verkauft, ebenso das legendäre Collier aus schwarzen Perlen, die Münz- und die Japonica-Sammlung …

Den Rest besorgten die Nationalsozialisten: Jerome Stonborough nahm sich im Juni 1938 in Gmunden das Leben. Mit der Aufgabe der in der Schweiz liegenden Gelder – rund 1,8 Millionen Schweizer Franken plus 300.000 Anwaltskosten – erkaufte man sich 1939 von den Nazis den Mischlingsstatus. Die Villa Toskana musste für NS-Stellen geräumt werden, nur die kleine Villa, das Gästehaus, konnte weiter von der Familie genutzt werden. Im Jänner 1940 reiste Margaret aus Deutschland aus. Die Villa Toskana wurde zu einer NS-Kaderschule umfunktioniert, das Haus in der Kundmanngasse ein Wehrmachtslazarett.

Klimt-Bild


So verlor Linz ein heute unbezahlbares Bild von Klimt.
Zur Verlobung von Margaret Wittgenstein (Jugendbild) mit Jerome Stonborough erging wohl der Auftrag an Gustav Klimt für ein lebensgroßes Porträt von Margaret. Für viele Kenner gilt es als das beste aller Klimt-Porträts. Auch Klimt teilte diese Einschätzung. Die Familie besaß mehrere Klimt-Bilder und war einer der größten Förderer der Secessionisten.


Klimt über die Honorarvorstellugnen in einem Brief an Karl Wittgenstein: „Ich kann daher nur den jetzigen Curs meiner lebensgroßen Porträts nennen und der beläuft sich auf ca. 5000 Gulden.“ 10.000 Kronen waren ein horrender Preis. Ein gut verdienender Akademiker hätte dafür drei, ein Facharbeiter an die zehn Jahre arbeiten müssen.


Nach dem 2. Weltkrieg lässt Thomas Bernhard ein fiktives Mitglied der Familie sagen: „Darunter haben wir immer gelitten – unter diesen hässlichen Bildern – die Bilder sind ein Vermögen wert – ein Millionenvermögen – aber sie sind hässlich.“


Das große Klimt-Bild, das in die Villa Toscana gebracht wurde, stellte Margaret 1956 der Neuen Galerie der Stadt Linz leihweise zur Verfügung. Der kulturpolitisch weitsichtige Bürgermeister Ernst Koref dürfte das eingefädelt haben. Als aber nach Margarets Tod die Erben das Bild der Stadt um 300.000 Schilling zum Kauf anboten (unter Berücksichtigung der Inflationsrate etwa 200.000 bis 250.000 Euro), lehnte die Stadt ab. 1960 wurde es an die Neue Pinakothek in München verkauft. Heute wäre das Bild wohl 100 bis 200 Millionen Euro wert.

Wittgenstein und Hitler gemeinsam in der Linzer Realschule

Eine Zeitlang besuchten Ludwig Wittgenstein und Adolf Hitler in Linz dieselbe Mittelschule.
Warum Karl Wittgenstein seinen jüngsten Sohn Ludwig (1889–1951), der als Philosoph durch seinen „Traktat“ weltberühmt wurde, statt im noblen Wien ab 1903 in Linz auf die Realschule schickte, ist nicht ganz klar. Er muss sie wohl für eine gute Schule gehalten haben. Auch Adolf Hitler, nur um sechs Tage älter als Ludwig, besuchte die Anstalt.

In Linz wohnte Wittgenstein bei einem der Lehrer des Linzer Akademischen Gymnasiums, dem Latein- und Griechisch-Professor Dr. Josef Strigl aus Obernberg. Dessen Sohn Pepi Strigl soll in dieser Zeit Wittgensteins einziger Freund gewesen sein.
Ludwig hatte 1910 als junger Student ein Jahreseinkommen von 237.308 Kronen, der Mittelschulprofessor Strigl hingegen nur 2800 bis 3300 Kronen. An der Schule fühlte sich Wittgenstein nicht wohl. Seine Noten waren schlecht. Er siezte seine Mitschüler, was auffiel. Diese verulkten ihn mit einem Stabreim:

„Wittgenstein wandelt wehmütig widriger Winde wegen wienwärts.“

Hitler besuchte die Schule von 1900 bis 1904. Wittgenstein kam im 2. Semester des Schuljahres 1903/04 nach Linz. Eineinhalb Jahre wären sie also in der gleichen Schule gewesen. Beide waren sie gleich alt. Hitler ging in die 3. Klasse, Wittgenstein in die 5. Letzterer versäumte viele Unterrichtsstunden: Im zweiten Semester 1903/04 waren es 124, im Jahr darauf 425.
Es gab manche frappante Gemeinsamkeiten zwischen Hitler und Wittgenstein: die Begeisterung für Richard Wagner, der vom damaligen Linzer Theaterintendanten Göllerich besonders gepflegt wurde, das Architektur-Interesse, etc.
Ob sich beide kannten, ist unsicher. Hitler schrieb in seinem Buch „Mein Kampf“: „In der Realschule lernte ich wohl einen jüdischen Knaben kennen, der von uns allen mit Vorsicht behandelt wurde, jedoch nur, weil wir ihm in Bezug auf seine Schweigsamkeit, durch verschiedene Erfahrungen gewitzigt, nicht sonderlich vertrauten.“

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