Autoren-Vertreter Ruiss im OÖN-Interview: Der katastrophale Vertrag mit Google
Von 6. bis 10. Oktober findet die Frankfurter Buchmesse statt. Am Stand der österreichischen IG Autoren werden 600 Herbst-Neuerscheinungen vorgestellt. Die OÖNachrichten sprachen mit IG-Autoren-Geschäftsführer Gerhard Ruiss über die digitalen Herausforderungen für Verlage und Literatur im Google-Netz.
OÖN: 2009 gab es noch 1836 literarische Neuerscheinungen österreichischer Verlage, warum sind es heuer um 189 weniger?
Ruiss: Die Verlage sind vorsichtiger geworden und publizieren zurückhaltend. Wir hatten zuletzt ein rasantes Titel-Wachstum, solche Steigerungsraten waren gar nicht mehr möglich. Die Verlage warten jetzt ab und gehen nicht mehr das höchste Risiko.
OÖN: Warten die Verlage ab, weil sie nicht wissen, wohin sich das digitale Buch entwickelt?
Ruiss: Es wird auch weniger Geld ausgegeben. In Österreich haben wir zwar keine Verkaufseinbrüche, aber im gesamten deutschsprachigen Markt gibt es diese Rückgänge sehr wohl. Der zweite Grund ist, weil es eben unklar ist, wie sich die Print-Medien und die E-Medien den Markt aufteilen werden. Und diese Entwicklung, vor allem jene des E-Books, ist schwer einzuschätzen. Die Verlage wissen nicht, wie sie sich auf diese digitale Welt einlassen sollen. Klar ist nur, dass mit dem digitalen Rechtehandel sehr viel Geld zu verdienen sein wird.
OÖN: Wie muss sich ein Verlag rüsten, um im digitalen Wettbewerb zu bestehen?
Ruiss: An den grundsätzlichen Qualitäten wird sich nichts ändern. Der Verlag muss den Text finden, den Autor entdecken und qualitätvolle Inhalte produzieren. Unklar ist die Antwort auf die Frage, wie der Text verbreitet wird.
OÖN: Heißt das, Verlage und Autoren können nur darauf reagieren, sofern ein Internet-Riese mit einer pfiffigen Idee den Markt überrascht?
Ruiss: Mit diesen Riesen haben wir schon zu tun, etwa mit Google-Books, die haben schon versucht, den Laden zu übernehmen. Das ist nicht gelungen, weil vor allem der deutschsprachige Raum (zweitgrößter Verlagsmarkt weltweit, Anm.) eine wirkungsvolle Gegenachse geschlossen und sich mit dem kontinentalen Urheberrecht dagegen gewehrt hat. Dass Bücher in den digitalen Raum einfach übernommen werden, geht eben nicht so leicht. Dem stehen nicht nur Rechte entgegen, sondern auch die Sinnhaftigkeit. Seriöse Marktanalysen sagen, dass diese Form auch in den USA eine Nebenerscheinung in der Belletristik bleiben wird. Ich weiß auch nicht, ob jemand einen 700-Seiten-Roman auf einem Bildschirm lesen will.
OÖN: Aber die freien Rechte kann Google nutzen.
Ruiss: Ja, und das ist sehr problematisch, weil damit derjenige, der das tut, in das kulturelle Erbe eintritt. Deshalb halte ich auch diese Vereinbarung der Österreichischen Nationalbibliothek mit Google für eine Katastrophe. Niemand soll sich auf Vorleistungen draufsetzen können, ohne investieren zu müssen, um sich als Weltbibliothek zu präsentieren.
OÖN: Bis 2016 digitalisiert Google 400.000 Bücher der Nationalbibliothek, die kostenfrei online zugänglich sein werden, warum halten Sie das für eine Katastrophe?
Ruiss: Dieser Vorgang reicht weit in die literarische Gegenwart herein. Es gibt die sogenannten freien Werke von Autoren, die schon seit 70 und mehr Jahren tot sind – und wenn diese Werke Google frei zugänglich gemacht werden, kann man die Werkpflege vergessen. Sie werden etwa Adalbert Stifter vergessen können, zwar nicht wissenschaftlich, aber die Refinanzierbarkeit von neuen Auflagen wird nie wieder gelingen. Google schöpft die Verkaufbarkeit ab, durch „print on demand“, durch Downloads, durch E-Book-Ausgaben – das alles sichert sich Google in diesen Verträgen. Wer neue Auflagen drucken möchte, muss zum Subventionsgeber gehen, weil keine Rückflüsse zu erwarten sind. Die andere Geschichte ist, dass man ein nationales Kulturerbe nicht privatisieren kann. Tatsache ist doch, sobald ich dieses Digitalisat einem Unternehmen übertrage, dann ist es weg – zum Nutzen eines findigen Unternehmers.
OÖN: Welchen Nutzen hat sich die Nationalbibliothek von Google versprochen?
Ruiss: Vielleicht einen Startvorteil, ungeachtet einer längerfristigen ökonomischen Bedeutung. Die Finanzierung für die Digitalisierung war in Österreich nicht aufzutreiben, also hat man denjenigen genommen, der diese Finanzierung übernimmt. Google hat sich um wenig Geld eingekauft, weil das Unternehmen ohnehin einen riesigen Scan-Betrieb in Bayern betreibt und die Maschinen am Laufen halten muss.
OÖN: Viele Bibliotheken digitalisieren ihre Bestände. Wie bewerten Sie das grundsätzlich?
Ruiss: Dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist eine Möglichkeit für die Bibliothek, mehr nach außen zu treten. Es muss nur bei der Bibliothek bleiben. Man darf nicht vergessen, dass diese Bestände zum Teil über Jahrhunderte entwickelt, verwaltet und gepflegt wurden, das sind Landes- und Staatsschätze. Es ist notwendig, diese Attraktivität im Netz darzustellen, aber man darf die Schätze nicht preisgeben, sodass sie jeder absaugen kann. Die größten Unternehmen haben dabei die wenigsten Skrupel.