„Das Bedürfnis nach Sexualität hört nicht auf, nur weil man beeinträchtigt ist“
Crossing Europe: Die Linzer Filmemacherinnen Claudia Dworschak und Andrea Müller porträtieren in ihrem Dokumentarfilm „Beruf: Berührerin“ drei Frauen, die im Bereich Sexualassistenz oder Berührungstraining arbeiten.
Diese drei Frauen unterstützen Menschen, die sich nach sinnlicher Begegnung sehnen, diese aber aufgrund ihrer Lebenssituation nicht bekommen können. „Beruf: Berührerin“ läuft am Sonntag, 28. 4., um 13.30 Uhr im Movie 2.
OÖNachrichten: Ein Artikel in einem Magazin hat Sie unter anderem inspiriert, eine Doku zu drehen, die sich mit Sexualassistenz beschäftigt. Warum gerade dieser Artikel?
Andrea Müller: Eine Welserin hatte darin über diesen Beruf geschrieben. Wir haben Sie dann per Mail kontaktiert, aber sie hat uns mitgeteilt, dass sie die Sexualassistenz aufgegeben hat, weil es für sie zu extrem geworden ist. Die Nachbarschaft hat sie deswegen stigmatisiert. Das war der Punkt, an dem ich mir gedacht habe: An diesem Thema müssen wir dran bleiben, um auch gegen Stigmatisierung zu arbeiten.
Für Ihre Doku haben Sie drei Protagonistinnen, Nina de Vries in Berlin, Marlise Santiago in der Schweiz und die Innviertlerin Jutta Kettl in Österreich begleitet. War es schwierig, diese drei Frauen von Ihrem Vorhaben zu überzeugen?
Claudia Dworschak: Unser Anknüpfungspunkt war die Stigmatisierung. Wir haben deshalb festgelegt, die Frauen, ihr Lebensumfeld und ihren Alltag in den Mittelpunkt zu stellen und uns bewusst dagegen entschieden, ihre Klienten in den Film aufzunehmen. Und bei diesen drei Frauen war die Frage, ob sie mitmachen, überhaupt kein Thema. Sie waren sofort dabei. Für uns war es ein großer Gewinn. Es hat uns viel bedeutet, dass wir sie einen Tag lang begleiten durften.
Andrea Müller: Sie haben unsere Anwesenheit mit großer Selbstverständlichkeit angenommen. Ich hatte nie das Gefühl, sie würden diesen Tag für uns inszenieren.
Die drei Frauen wirken im Film, als ob Sie mit Ihrer beruflichen Entscheidung stark im Reinen wären. Empfanden Sie das bei den Dreharbeiten genauso?
Andrea Müller: Für die Frauen, die wir in der Doku zeigen, ist das einfach ihr Beruf. Sie stehen dazu mit ihrem Gesicht, mit ihrem Körper, mit allem, was sie haben. Sie waren alle im gleichen Alter, haben sehr viel Erfahrung in dem, was sie tun, und waren extrem reflektiert.
Welche von den Erfahrungen, die Ihnen die Frauen mitgeteilt haben, hat Sie am meisten überrascht?
Claudia Dworschak: Es waren Momente, in denen man sich selbst mit falschen Vorstellungen erwischt hat. Man ist ja nicht vor falschen Bildern gefeit und diese wurden immer wieder gebrochen. Mir ist es speziell bei Jutta Kettls Lebenssituation so gegangen.
Sie lebt in einem relativ kleinen Ort mit ihren Eltern, Bruder und Freunden und alle unterstützen sie mit großer Selbstverständlichkeit bei ihrer Arbeit. Und ich denke mir, man müsste sich selbst damit einfach mehr auseinandersetzen, wenn es etwa die eigene Schwester macht.
Jutta Kettl hat uns auch gesagt, dass sie eine große Freude mit dem Film hat. Sie hat ihn ihren Freundinnen gezeigt hat, die dann gesagt haben: „Jutta, jetzt weiß ich endlich, was du machst.“
Was kann es dem Publikum bringen, sich Ihre Doku anzusehen?
Andrea Müller: Wir hoffen auf Verständnis für diesen Beruf. Denn hört man das Wort „Sexualassistenz“, ist diese Tätigkeit in unserer Gesellschaft klar mit Geschlechtsverkehr assoziiert. Aber für manche Menschen ist es bereits von sehr großer Bedeutung und sehr, sehr viel wert, wenn sie eine Hand auf ihren Rücken spüren. Man kann nach dem Film vielleicht anders werten, für sich den Begriff von dem ständigen Konnex mit Zweisamkeit befreien und verstehen, wie vielfältig Sexualassistenz sein kann. Es ist etwa auch für Frauen nach einem sexuellen Missbrauch ein großes Thema, dass ihnen jemand hilft, irgendwann Sexualität in einer gewissen Form wieder genießen zu können.
Deshalb war es uns auch wichtig, dass wir das Bild der Begegnung (zw. Sexualassistent und Klient, Anm.) nicht zeigen, weil es nicht die eine Form der Begegnung gibt. Sie kann unglaublich unterschiedlich sein. Es gibt verschiedene Formen der Beeinträchtigung – körperlich oder mental? Ist jemand Autist? Ist jemand 15 Jahre alt und entdeckt das erste Mal seine Sexualität und weiß nicht, wie er damit umgehen soll, weil es nie jemand erklärt hat.
Claudia Dworschak: Oder weil es ganz klar definierte Bilder davon gibt. Ich finde, es ist generell wichtig, den Begriff Sexualität viel weiter zu fassen und zu erkennen, dass es unterschiedlichste Zugänge gibt. Es ist für mich immer wieder spannend, zu sehen, dass es noch so viel mehr zur Sexualität gibt, aber dem eine begrenzte Vorstellung entgegensteht.
Andrea Müller: Das Bedürfnis nach Sexualität hört nicht auf, nur weil man beeinträchtigt ist. Vielleicht hilft der Gedanke, dass man selbst nach einem Unfall auch einmal betroffen sein könnte. Trotz eines Unfalls hört die Sexualität in einem nicht auf zu existieren.
Info: In Österreich gibt es derzeit 17 Sexualbegleiter, fünf davon sind Männer.
Eine Ausbildungseinrichtung gibt es in der Steiermark. Passive Sexualassistenz bedeutet, zwei Menschen mit Beeinträchtigung, die ein Paar sind, in ihrem Weg zu einer gemeinsamen Sexualität zu unterstützen.
Crossing-Europe-Tipp: „Beruf: Berührerin“, So. 28. 4., 13.30 Uhr, Movie 2
und sinnvolle Arbeit.
Ein elendes Häufchen Elend - oder doch nicht?
Die Fortpflanzung verschafft beiden Geschlechtern auch Lust, und genau die wird immer wieder tabuisiert, weil sie für den normalen Menschen als was Schlechtes "angesehen" wird.
Neuerdings wird (M)an(n) ja schon wegen Kinderschändung angezeigt, nur weil er seine Tochter umarmen will?
Ich finde diesen Film gut, da wird auch hoffentlich mit Vorurteilen aufgeräumt, bevor der "homosapiens" vollends zur Eismaske erstarrt!