"In Liebe lassen": Die Wiedergeburt einer Mutter mit dem Tod des Sohns
Im Kinofilm "In Liebe lassen" stellt sich Catherine Deneuve dem Sterben und Fehlern der Vergangenheit.
Sie hebt ihr Kind hoch und hält es am Herzen. So wie sie es an der jungen Mutter und ihrem Neugeborenen beobachtet hat. Nur ist Crystal Boltanski, verkörpert von Catherine Deneuve, längst eine reife Frau. So wie ihr Sohn Benjamin ein Erwachsener ist – ein abgemagerter im Bett eines Spitals.
Mit 39 Jahren ist bei dem Schauspiellehrer, den Benoit Magimel ("Die Pianistin") gibt, Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. Der 78 Jahre alten Deneuve, Grande Dame des französischen Kinos, und dem mit dem Cesar und in Cannes prämierten Magimel (47) setzt das Leben in dieser Regiearbeit der Pariserin Emmanuelle Bercot (54) eine seiner größten Ungerechtigkeiten vor: Ein Leben wird viel zu früh beendet werden. Eine Mutter wird wider den natürlich empfundenen Lauf der Zeit ihr Kind beisetzen müssen. "In Liebe lassen" ist natürlich ein Spielfilm. Jedoch einer, der sich in einer in der Realität von Menschen oft erlebten Situation begründet.
Man erwartet sich einen Film, der das Publikum mit einer Welle aus Schmerz überrollt. Doch die Arbeit beweist einmal mehr, wie viel Spürsinn Frankreichs Kino für die Melodie des Lebens hat, also auch für dessen hellen Anklänge. Crystal, Benjamin, sein entfremdeter Sohn Leandre (Oscar Morgan) und Lola (Lou Lampros), eine seiner Schülerinnen, werden von Bercot als drei Generationen inszeniert, in denen der bevorstehende Tod intime Themen, Fragen, Gefühle und Konflikte in all ihrer menschlichen Vielfalt auslöst: Ungewissheit, Verdrängung, Angst, Trauer, Wut, Kraftlosigkeit, alte Fehler. Genauso liefert das Ensemble, gestützt von Deneuve, zärtliche, liebevolle, gütige und erlösende Momente, die das Unausweichliche einleiten, den Abschied vorbereiten und die Zeit danach. Einen besonderen Platz in diesem Film gewährt Bercot dem auch palliativ handelnden Spitalspersonal, dem der erfahrene Dr. Eddé (Gabriel Sara) vorsteht. Ein Mediziner, der so fehlerfrei, empathisch und weise agiert und über ein Arbeitsumfeld wie auch emotionale Ressourcen verfügt, dass man es für Kitsch halten könnte.
Doch auch dafür sind Filme wie dieser melancholisch schöne, bittersüße da. Nicht um Erwartungen zu wecken, die in Realität wohl kaum zu erfüllen sind. Sondern um Utopien zu schaffen, die zeigen, was gelingen könnte. Selbst ein auf allen Seiten bemühter Umgang, wenn der Tod eine Zäsur in die Biografien der Hinterlassenen reißt.
"In Liebe lassen": F/B 2021, 122 Min., Regie: E. Bercot
OÖN Bewertung:
Der Trailer zum Film: