Drei Augenzeugen aus Oberösterreich
Gespenstische Ruhe, Chaos, Hilfsbereitschaft, Rauchschwaden. Jene Oberösterreicher, die sich am 11. September 2001 in New York aufgehalten haben, mussten eine Menge an Eindrücken und Emotionen verarbeiten. Manche beschäftigt das Erlebte bis zum heutigen Tag.
Der Linzer Embryologe Thomas Ebner (45) hielt sich am 11. 9. 2001 nur fünf Kilometer entfernt vom World Trade Center in einem Hotel auf. Der studierte Biochemiker und Zoologe nahm als Vortragender an einem Weltkongress teil, bei dem sich die führenden Fachleute für künstliche Befruchtung austauschten. „Kurz vor neun Uhr Vormittag wurde die Veranstaltung unterbrochen und wir sahen im Medienraum des Hotels den zweiten Flieger in die Türme einschlagen“, berichtet der Mitarbeiter der Linzer Frauenklinik. Bei der Erinnerung an 9/11zieht es dem Universitätsdozenten noch nach zehn Jahren die Gänsehaut auf. „Ich habe noch nicht alles verarbeitet, schaue mir auch keine Filme und Dokumentationen zum Thema an.“ Während des Jahres denke er selten an diese Tage zurück – „Schlüsselwörter wie New York beschwören die Bilder aber wieder herauf“.
Sieben Kilo abgenommen
Damals ist sich der Vater von drei Söhnen und einer Tochter vorgekommen „wie in einem schlechten Film.“ Die Stimmung in der Metropole New York sei richtig gespenstisch gewesen. Eine unheimliche Stille habe unmittelbar nach den Einschlägen auf der Stadt gelastet. „Der erste Gedanke galt meinen Kindern“. Ansonsten habe er ein Stück weit funktioniert wie ein Roboter: sich ein Zimmer organisiert, Anrufe nach Hause probiert, sich im Fernsehen informiert. „Ich dachte zum Beispiel gar nicht ans Essen, habe sieben Kilo binnen weniger Tage abgenommen.“
Langes Anstellen
Eingebrannt haben sich bei Ebner Szenen wie jene von Menschen, „die scheinbar alle auf einmal telefonieren wollten.“ Er selbst habe seine Frau erst Dienstagabend gesprochen. Auch an bis zu 200 Meter lange Menschenschlangen könne er sich erinnern: Ob beim Blutspenden oder beim Anstellen um ein Rückflugticket am Lufthansa-Schalter.
In den ersten beiden Tagen nach dem Anschlag war nicht ans Heimkommen zu denken. „Ich war auf mich alleine gestellt, aber mich haben viele Menschen aus Österreich angerufen, darunter welche, die sich lange nicht gemeldet hatten – das hat mir Mut gemacht“. Ebner schaffte es verhältnismäßig rasch in ein Flugzeug Richtung Deutschland, konnte New York vier Tage nach dem Einsturz des World Trade Centers verlassen. „Einerseits war ich erleichtert, andererseits hatte ich ein mulmiges Gefühl“. Als der Universitätsdozent am Flughafen eine Reiselektüre kaufen wollte, sprang ihm das Cover des Time-Magazins ins Auge. „Da war ein Foto abgebildet, das zeigt, wie die Menschen aus den Türmen in die Tiefe springen – das war schon heftig, nimmt mich heute noch mit.“ Der Flug selbst sei ruhig verlaufen, allerdings hätten viele Fluggäste, einschließlich ihm, einen arabisch aussehenden Mann angestarrt, dem das sehr unangenehm gewesen sei.
Die Rückreise dauerte 48 Stunden. Zu Hause hat Ebner erfahren, dass der Kongress in New York ursprünglich im World Trade Center stattfinden sollte, nur aus Kostengründen in ein nahe gelegenes Hotel verlegt worden ist.
Fünf Jahre lang hat es gebraucht, bis der Österreich-Sprecher der Embryologen wieder in ein Flugzeug in die Vereinigten Staaten gestiegen ist. In New York war er seither nicht. Dafür fliegt er am Montag nach Mumbai (Indien) zu einem Kongress. Erst kürzlich haben Terroristen dort ein Attentat verübt. Ebner selbst bereitet das keine Sorgen. „Mich schreckt seit dem 11. September 2001 nichts mehr.“ Seine Mutter sei schon nervös, da ihre Männer das Unglück anzuziehen scheinen. „Ich war einmal in Indien, als bei einer Sehenswürdigkeit kurz vor meinem Eintreffen 30 Touristen erschossen worden sind. In Sizilien erlebte der Linzer einen Vulkanausbruch mit, „mein Bruder war in Kaprun am Gletscher beschäftigt, als die Bahn völlig ausgebrannt ist, und mein Vater hat einen schweren Autounfall und sechzehn Stürze samt Blessuren mit dem Mountainbike auf dem Konto.“
Linda Goetzloff (36), damals noch Linda Antonitsch, aus St. Florian war vor zehn Jahren die erste Augenzeugin die sich via E-Mail bei den OÖNachrichten gemeldet hat. Von der Katastrophe ganz in ihrer Nähe hat sie selbst aus Österreich erfahren. „Meine Schwester wollte in einer Mail wissen, ob es mir gut geht.“ Sie selbst habe auf dem Weg zu ihrer Praktikumsstelle in einer Anwaltskanzlei im Chrysler-Building nichts von den Terrorattentaten mitbekommen. „Von einer anderen Stelle im Büro aus, haben wir dann die Rauchsäule von den Twin-Towers aufsteigen sehen – kurz darauf ist das Chrysler-Building evakuiert worden.“
Die Oberösterreicherin ist noch zwei Tage lang in der Stadt geblieben, wollte allerdings so schnell wie möglich weg. „Ich bin zu Bekannten nach New Hampshire gefahren, habe dort abgewartet, bis ich einen Platz in einer Maschine bekommen habe.“ Zehn Jahre nach dem Anschlag habe sie das Erlebte gut verarbeitet – „ich bekomme keine Gänsehaut mehr, fühle mich nicht mehr so dabei.“
Den Moment, bis die Zeit für einen neuerlichen Besuch in New York reif ist, wartet Simone Feichtinger (31) aus Bad Ischl ab. „Ich weiß aber, dass ich irgendwann noch einmal dort hin- reise – New York ist eine tolle Stadt, aber der Augenblick, in dem ich mich dem Ganzen stellen muss, wird sicher ein Spezieller“. Die damals 21-Jährige ist durch eine glückliche Fügung nicht im World Trade Center gewesen, als kurz vor neun Uhr das erste Flugzeug in die Twin-Towers geflogen ist. „Wir wollten die Ersten auf dem Gebäude sein, weil wir am Vortag schon dort waren und das Wetter nicht so gut war“, erzählt die Mitarbeiterin von Sony Music. Allerdings habe sie einen Zug versäumt – „das war Schicksal.“
Leere Straßen und Jets
Wie Thomas Ebner, fühlte sich auch Simone Feichtinger kurz nach dem Terroranschlag „wie in einem Film, alles erschien unwirklich.“ Was passiert ist, habe sie erst begriffen, „als ich mit dem Mietwagen zur Rush-Hour beinahe alleine auf dem Highway unterwegs war, und über mir Kampfjets hinweggedonnert sind“.
Nach dem Einstürzen der Türme hat Feichtinger in der Stadt viele emotionale Momente erlebt. „Neben mir sind Feuerwehrmänner zusammengebrochen, in der U-Bahn wurde mit Durchsagen den Helfern gedankt. Diese Solidarität sei einerseits positiv zu sehen, „andererseits haben viele Menschen schon kurz nach dem Attentat nach Krieg gerufen.“ Dass morgen Terroristen wieder auf ähnliche Arte und Weise zuschlagen könnten, will Feichtinger nicht ausschließen. „Ich glaube nicht, dass die Welt in den vergangenen Jahren um so vieles friedlicher geworden ist.“
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