Schmerztherapien - Fokus auf geschlechtsspezifische Unterschiede
WIEN. Die geschlechterspezifischen Unterschiede bei Entstehung, Wahrnehmung und Behandlung von Schmerzen stehen im Zentrum der 23. Schmerzwoche.
Die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) thematisierte bei einem Medientermin am Mittwoch nicht nur diese kaum bekannte Problematik. ÖSG-Präsident Wilhelm Eisner (MedUni Innsbruck) erinnerte auch an die Zunahme von Schmerz durch die demografische Entwicklung und forderte von den Gesundheitskassen eine Zweitmeinung einzuführen.
Das spezielle Thema der International Association for the Study of Pain (IASP) ist dieses Jahr "Gender Pain" und es sei aus "gutem Grund" gewählt worden, stellte Waltraud Stromer vom Landesklinikum Horn fest: Frauen haben etwa eine höhere Schmerzempfindbarkeit und auch öfter derartige Erkrankungen, wie sie auch eine sechsmal größere Chance zur Chronifizierung haben. Studien zeigen zudem, dass bei Frauen die körpereigene Schmerzhemmung weniger ausgeprägt ist, jedoch depressive Symptome häufiger sind und als Verstärker wirken können.
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Auch im Umgang mit Schmerzen wurden geschlechtsspezifische Verhaltensweisen festgestellt, sagte die ÖGS-Past-Präsidentin: "Frauen suchen rascher Hilfe und erhalten schneller Medikamente, der Mann neigt eher zu Selbstbehandlung", jedoch seien hier dann oft Aggression oder Alkoholkonsum Nebeneffekt. Unerwünschte Nebeneffekte bei Medikamenten seien wiederum das Problem der Frau, so Stromer. Demnach seien diese bei acht von zehn Arzneien, die wegen toxischer Nebenwirkungen aus dem Handel genommen wurden, bei Frauen aufgetreten.
Morphin wirkt bei Frauen besser
Die Körperstruktur unterscheide sich zudem, was sich wiederum bei der Speicherung von Opioiden im Fettgewebe bemerkbar mache, und Morphin wirke etwa bei Frauen zwei- bis dreimal schmerzlindernder als bei Männern. Und auch das Alter beeinflusse die Wirkung, etwa wirke Mexalen im höheren Alter länger, zu hohe Dosen bergen hier das Risiko von Leberschäden. "Wir werden in Zukunft mehr auf diese Unterschiede eingehen müssen, sowohl was die Medikation betrifft, als auch was multimodale Therapieformen betrifft", resümierte Stromer. Das Motto laute weg von der Unisex-Medizin hin zu geschlechterspezifischen Behandlungen.
Rund 1,8 Millionen chronische Schmerzpatienten gebe es in Österreich, rund acht Milliarden an Gesamtkosten würden damit jährlich einhergehen. Gerade auch deswegen sollte es einen gesetzlichen Anspruch auf eine medizinische Zweitmeinung geben. Dies verhindere medizinische Fehleinschätzungen, unnötige Eingriffe und zwinge die Patienten nicht dazu in eine Privatordination gehen zu müssen. "Es geht um die richtige Diagnose, damit wir dahinter kommen, wie der Schmerz entsteht", erläuterte Eisner. So habe er als Neurologe einfach einen anderen Ansatz als etwa ein Orthopäde, wie auch jemand, der auf Operationen spezialisiert sei, einen anderen Zugang habe als jemand, der auf Therapien fokussiert.
Schmerz muss kein Dauergast sein
Schmerz muss jedenfalls kein Dauergast sein, sagte indes der Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der MedUni Wien, Richard Crevenna. Auch mit zunehmendem Alter können durch Training und Bewegung krankmachende Aspekte aufgeschoben oder abgeschafft werden, "über 80 Prozent bei Rückenschmerzen können mit Physio- und Trainingstherapien behandelt werden" - und hier würden die Schmerzen eben oft nicht retour kommen.
ÖSG-Generalsekretär Rudolf Likar wies indes auf die nahende Einführung des ICD-11, der Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten, in Österreich hin. Da werde erstmals chronischer Schmerz als eigene Erkrankungen aufscheinen und nicht woanders zugeordnet. "Auch hinsichtlich Long/Post Covid ist die Diagnose 'chronischer Schmerz' wichtig, denn die Diagnostik von Long/Post Covid-Schmerzen sollte gemäß schmerzmedizinischer Standards durchgeführt werden", so Likar.
ÖSG-Präsident Eisner lobte abschließend, dass die integrative Schmerztherapie im österreichischen Strukturplan für Gesundheit (ÖSG) verankert werde, bis zum Sommer soll es soweit sein, so können dann auch die Länder folgen: "Das Ziel ist, dass es für jedes Bundesland mindestens ein Schmerzzentrum geben wird", appellierte Eisner an die Politik.