Sicher am Rad: Neue Ideen, alte Probleme
Mehr als 8000 Verletzte und 30 bis 40 Tote pro Jahr zeigen: Radfahren ist nicht ungefährlich. Techniker tüfteln daher an neuen Lösungen, um den Lieblingssport der Österreicher sicherer zu machen, zugleich entstehen mit den E-Bikes neue Probleme.
Ich bin schon zweimal voll abgeschossen worden und hatte Glück, nur mit Abschürfungen und ohne Knochenbrüche davonzukommen", berichtet ein leidenschaftlicher Rennrad-Fahrer den OÖN. Nüchterne Zahlen sollten die Angst vor dem bösen Autofahrer eigentlich entkräften: In 59 Prozent der Fälle seien die Radfahrer selbst die Unfallverursacher, sagt das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV). Die häufigsten Unfallursachen sind Unachtsamkeit, gefolgt von Vorrangverletzungen oder Missachten roter Ampeln und zu hohem Tempo (siehe Grafik). "Wir rechnen mit einer sehr hohen Dunkelziffer von sogenannten Alleinunfällen", erklärt Othmar Thann vom KfV. Mit dem Ex-Radprofi Gerhard Zadrobilek hat man eigens eine Sammlung von Tipps erstellt, die besonders das Mountainbiken sicherer machen sollen.
"Wir kämpfen seit Langem um mehr Sicherheit auf den wichtigsten Radrouten, aber im Detail ist das immer sehr mühsam", bedauert Gerhard Fischer von der Oö. Radlobby: Mit der nächsten Novelle der Straßenverkehrsordnung sollte ein Seitenabstand von 1,5 Meter für alle anderen Fahrzeuge geregelt werden, wenn diese Radler überholen. Kann dieser nicht eingehalten werden, müssten sie ihr Tempo drastisch reduzieren.
"Es wird nur schwierig werden, das zu überwachen: Die Polizei kann nicht überall sein und es gibt zwar ein Abstandsmessgerät beim Klimabündnis OÖ, aber auch dieses wird nur ganz selten eingesetzt", sagt Fischer.
Radfahrstreifen zu schmal
Sogenannte "Mehrzweckstreifen" an viel befahrenen Straßen könnten helfen: Bodenmarkierung und Beschilderung weisen auf diese Radfahrflächen hin und mahnen Autofahrer zur Vorsicht. "Leider werden sie meistens viel zu schmal ausgeführt, und wo mehr Verkehr ist, hören sie oft ganz auf", bedauert Fischer. Tempo 30 im Ortsgebiet in vielen Gemeinden könne die Radlersicherheit verbessern, sei aber bei den Verkehrsbehörden sehr umstritten und schwer durchzusetzen. "Bessere Bodenmarkierungen wenigstens auf den bestehenden Radwegen wären auch schon eine Hilfe", fordert der Mountainbike-Guide Bernhard Huber mehr Flexibilität der Straßenverwaltungen ein: Huber hat als Berater bei zahlreichen Radwegprojekten (etwa im Kremstal) mitgewirkt und dort auch durchgesetzt, dass auf Gegenverkehr, Engstellen und Ausfahrten optisch deutlich hingewiesen wird. "Bis vor Kurzem war das ein Riesenproblem, vor engen und unübersichtlichen Kurven wenigstens eine Mittellinie aufzumalen damit die Leut’ nicht z’sammfahren", wundert sich Huber.
Elektronische Helfer
Neue Technik soll inzwischen auch dazu beitragen, das Radeln sicherer zu machen: Findige Elektronik- und Software-Tüftler haben etwa einen Kopf-Airbag entwickelt, der wie eine Halskrause getragen wird und besser schützen soll als jeder Helm. Konventionelle Helme kann man mit einem Sturzsensor nachrüsten, der im Notfall automatisch Alarm auslöst, und auch Freisprecheinrichtungen für das Smartphone werden schon integriert.
Was ist Dooring?
Radwege entlang parkender Autos sind zu Recht gefürchtet: Eine Autotür, die sich im falschen Moment öffnet, kann zu schweren Stürzen und Verletzungen führen. Dabei wäre Abhilfe einfach: In den radaffinen Beneluxländern wird allen Lenkern beigebracht, die Autotür immer mit der zur Wagenmitte zeigenden Hand zu öffnen. Weil man sich dazu fast im Sitz umdrehen muss, wirft man automatisch einen Blick nach hinten und sieht den herankommenden Radler rechtzeitig.
Kopf-Airbag für Radfahrer: Die schwedische Halskrause
Über den Tragekomfort der Halskrause lässt sich streiten, doch ihr Innenleben ist interessant: Ein Sturzsensor wird vor der Fahrt aktiviert und überwacht ständig die Bewegung des Bikers. Bei einem Sturz löst er aus wie ein konventioneller Auto-Airbag – allerdings hat der Hövding in etwa die Form einer Trockenhaube und schützt Nacken und Kopf Testergebnissen zufolge angeblich fünfmal besser als ein Hartschalenhelm. Entwickelt wurde das Wunderding von den beiden Industriedesign-Studentinnen Anna Haupt und Terese Alstin in Schweden, als dort 2005 eine allgemeine Helmpflicht für Kinder unter 15 Jahren eingeführt wurde – und über eine Helmpflicht für erwachsene Radler diskutiert wurde.
230.000 Airbags wurden seither in 15 Länder verkauft (Preis: 300 Euro), inzwischen ist der Hövding 3 am Markt und 40 Angestellte der Herstellerfirma arbeiten kontinuierlich an Verbesserungen – zum Beispiel Überzügen in zahllosen Designs und einem verbilligten Austauschsystem für den Airbag, denn nach einem Einsatz muss die reißfeste Kunststoffhaube gewechselt werden. Bei mehr als 5000 Stürzen soll der Airbag bereits klaglos funktioniert haben.
Sturzsensor am Helm: Tocsen
Ein Sturzsensor wird per Bluetooth mit dem Handy gekoppelt und registriert, wenn der Radfahrer stürzt und sich danach nicht mehr bewegt: In diesem Fall wird nach einer „Latenzzeit“ eine SMS an einen vorher festgelegten Notfallkontakt abgesetzt – mit den Koordinaten, wo sich der Sturz ereignet hat.
Kann der Notfallkontakt den Radler mit einem Rückruf nicht erreichen, kann man den Rettungskräften genau sagen, wo sie suchen sollen. Ähnliche Systeme bieten auch bereits die Hersteller von Bike-Navis unter verschiedenen Markennamen an, einige auch ohne Verbindung mit einem Handy (mit eigener Sim-Karte).
ABS gegen Überschläge beim Bremsen
Seit 40 Jahren schon sind ABS-Systeme in Autos im Einsatz, um ein Blockieren der Räder bei Vollbremsungen zu verhindern – seit zwei Jahren ist das System für E-Bikes verfügbar. „Damit könnte man rund ein Viertel der Stürze und viele schwere Verletzungen verhindern“, ist Claus Fleischer von Bosch E-Bike Systems überzeugt: Mehrkosten von 500 Euro und ein Gewicht von nur 800 Gramm würden bei hochwertigen E-Bikes keinen dramatischen Unterschied machen. Von der Funktion her arbeitet das Fahrrad-ABS ähnlich wie im Auto: Sensoren erkennen ein Blockieren der Räder und nehmen Bremskraft weg, um genau das zu verhindern.
Die Elektronik erkennt aber auch ein Abheben des Hinterrades und reduziert dann die Bremskraft vorne, damit man den Bodenkontakt nicht verliert: Überschläge und Wegrutschen sind auf nassem und losem Untergrund (Schotter auf Forststraßen) häufige Sturzursachen.
Tester loben die Funktion des Systems, es arbeite fein dosiert und zuverlässig. Weil der Akku nur beim Bremsen Strom liefern muss, fällt der Verbrauch kaum ins Gewicht und das System bleibt bis zum Ende der Reserve einsatzfähig, dann funktioniert die Bremse normal auch ohne ABS-Unterstützung.
Mehr Farbe für Bodenmarkierungen
Bodenmarkierungen und Beschilderungen wären ein wesentlicher Beitrag zur Sicherheit der Radfahrer – sind aber nicht überall optimal: Besonders entlang viel befahrener Bundesstraßen kritisiert die Oö. Radlobby zahlreiche Gefahrenstellen. In Amstetten hat mit SWARCO Road Marking Systems eine Firma ihren Stammsitz, die sich weltweit auf moderne Straßenmarkierungen spezialisiert hat: „Mehr Radler erhöhen nicht die Aufmerksamkeit der Autofahrer, die Verkehrsplaner müssen umdenken“, sagt Michael Pieler.
Tests in Wien hätten gezeigt, dass farblich auffällig abgesetzte Radwege die Unfallzahlen senken. Rot auf Kreuzungen, beruhigendes Grün im normalen Straßenverlauf. Die Radwegbeschichtung kann nachträglich noch mit weißen Piktogrammen (Richtungspfeilen etc.) versehen werden und wird mit färbigen Glasgranulaten aufgeraut, damit sie bei Regen nicht rutscht. SWARCO wendet diese Verfahren auch für Rennstrecken, Flughäfen und Spielplätze an.
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