In drei Sekunden nach Absurdistan
An Jeff Bezos reicht Zheng Xiang zwar nicht heran. Beachtlich ist trotzdem, was die chinesische Influencerin innerhalb einer Woche geschafft hat.
Sie hat 14 Millionen Dollar verdient. Gut, das ist zwar viel, aber noch nicht komplett außergewöhnlich. Außergewöhnlicher ist, wie sie es geschafft hat.
Die junge Frau zeigte auf ihrem Douyin-Kanal (der chinesischen Variante von TikTok) via Livestream Produkte. Um von Zheng Xiang gezeigt und beworben zu werden, bezahlten die Herstellerfirmen Geld. So weit, so gewöhnlich. Denn diese Form der Werbung ist in allen Social-Media-Kanälen Standard und für viele Influencer zum einträglichen Geschäft geworden. Wie viel die Firmen bezahlen, hängt von der Anzahl der Follower ab. Wem bis zu 10.000 Menschen folgen, der kann durchaus auf gut 1000 Euro im Monat kommen. Nach oben hin gibt es keine Grenzen, eine entsprechende Vermarktung der eigenen Person und des eigenen Privatlebens vorausgesetzt.
Aber zurück zu Zheng Xiang. Sie hat sagenhafte 500 Millionen Follower. Und denen zeigte sie im Livestream quasi als Dauerwerbesendung verschiedene Produkte, von der Jogginghose bis zum Besen – jeweils für drei Sekunden. Eine Woche lang lief das Konzept sehr erfolgreich, dann setzten die Behörden dem Ganzen ein Ende. Mittlerweile ist es in China verboten, in Livestreams mit keiner oder nur sehr wenig Information Produkte zu verkaufen.
Aitana Lopez hat 270.000 Follower. Auf Instagram zeigt sie ihren Alltag, der vor allem darin besteht, leicht bekleidet für die Kamera zu posieren, ins Fitnessstudio zu gehen und Nahrungsergänzungsmittel zu loben. Monatlicher Verdienst: 3000 bis 10.000 Euro. Dieses Geld geht allerdings nicht an Aitana Lopez, sondern an eine Werbeagentur in Barcelona. Denn Aitana gibt es gar nicht, sie wurde mithilfe von künstlicher Intelligenz generiert. Das steht zwar im Profil der Dame, aber ob allen Fans bewusst ist, dass Aitana nicht echt ist, darf bezweifelt werden. Die Kommentare zu den Postings unterscheiden sich jedenfalls nicht von jenen, die "echte" Influencerinnen bekommen.
Diese Beispiele sind Extremvarianten für Influencer Marketing, eine Werbeform, die in den vergangenen Jahren vom Nischenthema zum Megatrend geworden ist. Unternehmen werben gerne über Personen mit großer Reichweite und einer treuen Anhängerschaft. Es wirkt ehrlicher, authentischer, näher an der Zielgruppe. Damit gehen aber auch zahlreiche Probleme einher. Oft wird nicht ausreichend transparent gemacht, dass es sich um Werbung handelt, die Grenzen verschwimmen. Dass die Grenzen in Sachen Absurditäten, die das Konzept gänzlich infrage stellen, überschritten werden, zeigen die beiden genannten Beispiele.
Ach ja, falls Sie sich seit Beginn der Kolumne fragen, wie viel Amazon-Gründer Jeff Bezos verdient: zwölf Millionen Dollar. Allerdings nicht in einer Woche, sondern in einer Stunde.