Ein Regiemeister Europas, der für seine Filme über die Grenzen ging
Der Oscar-prämierte Bernardo Bertolucci starb gestern mit 77 Jahren in Rom
"Ich habe das Ende des Films offengelassen, damit es so ist, wie das Leben selbst: ambivalent." Das sagte der gestern in Rom mit 77 Jahren gestorbene Bernardo Bertolucci vor Jahrzehnten nach der Vorführung seines weniger bekannten, aber typisch farbkräftigen, leuchtenden Werks "La luna".
Eine Aussage, die so natürlich auch für das Schaffen des Italieners zu gelten hat, der als Regisseur das europäische Kino mit seiner Handschrift prägte. Denn berühmt und berüchtigt wurde der 1941 in Parma geborene Sohn eines Dichters und Filmkritikers nicht nur wegen seiner Kunst, sondern auch wegen des Skandals, den ein Film nach sich zog: "Der letzte Tango in Paris" (1972).
Marlon Brando, "ein Monster"
Dafür inszenierte Bertolucci Marlon Brando, der für ihn "als Mensch ein Engel und als Schauspieler ein Monster" war, sowie die damals blutjunge Maria Schneider als lustwandelndes Paar – mit fast 30 Jahren Altersunterschied und harten Sexszenen. Dass der Film ein Skandal war, der im katholischen Italien zensiert und für den Regisseur ein juristisches Nachspiel hatte, samt Aberkennung diverser Rechte, macht Bertoluccis Erbe aber noch nicht ambivalent. Kunst darf nicht nur, sie muss auch an Grenzen rühren.
Aber dass Schneider, wie sie später sagte, damals nicht wusste, dass sich Regisseur und Hauptdarsteller ohne ihr Wissen vor intimsten Szenen absprachen, was zu nicht tolerierbaren Übergriffen geführt hatte, verbietet eine rein lobhudelnde Hommage.
Wie diese Dynamik am Set entstehen konnte? Wahrscheinlich aus Bertoluccis Drang, "Echtes, Unverfälschtes" einzufangen. Die Realität, die ihn interessierte, war "nur die unmittelbar vor der Kamera". Das führte aber auch dazu, dass Bertolucci bis heute der einzige Filmemacher Italiens neben Frank Capra (1897–1991) ist, der mit einem Academy Award in der Kategorie Regie geehrt wurde.
Er erhielt ihn für die berühmte Arbeit "Der letzte Kaiser" (1986) mit Peter O’Toole, die mit acht weiteren Goldmännern prämiert wurde. So auch für das Drehbuch, ebenfalls von Bertolucci, der in der Tradition des Autorenfilms seine Filmgeschichten selbst schrieb.
Schon vor "Der letzte Kaiser", der auch den Golden Globe und Frankreichs César holte, hatte Bertolucci mit Hollywood gedreht. So wartete "Novecento" (1976), in dem der dem Kommunismus zugewandte Regisseur den Klassenkampf Italiens skizziert, mit Robert DeNiro auf. 1990 folgte "The Sheltering Sky", in dem er Debra Winger und John Malkovich als Liebespaar dorthin schickte, wo er seine Protagonisten am liebsten sah: auf die Suche nach Sinn, ihrem Platz im Leben.
Bertolucci selbst wankte zwar einige Jahre zwischen Wort und Bild, Theater und Produktion, doch schon als Jugendlicher hatte sein Weg zur Regie begonnen, als er zuhause 16-Millimeter-Kurzfilme drehte. Den Rest besorgte ein Freund seines Vaters: Regiemeister Pier Paolo Pasolini (1922– 1975), der ihn für "Accattone" (1961) als Assistenten anheuerte.
Während sich der kinderlose Bertolucci in dritter Ehe – seit 1987 war er mit Kollegin Clare Peploe verheiratet – der Liebe sicher war, zweifelte er stets an drei Dingen: der Blockbuster-Monokultur, weshalb er Serien wie "Breaking Bad" verehrte, Politiker Silvio Berlusconi und der Religion. "Ich bin Atheist. Und wie mein Regiekollege Luis Buñuel sagte: Gott sei Dank."