Russland droht ein Teufelskreis
MOSKAU. Russland steht mit seinem Haushaltsdefizit nach Ansicht von Fachleuten ökonomisch vor einem Teufelskreis.
Denn der Versuch, das Loch im Budget durch den Verkauf von Devisenreserven auszugleichen, könnte letztlich den Rubel hochtreiben. Dies wiederum dürfte die für den Kreml vor dem Hintergrund der Sanktionen des Westens so wichtigen Exporteinnahmen weiter schmälern, argumentieren Analysten.
So besteht laut Wassili Karpunin, Experte bei BCS Express, das Risiko, dass Russlands Einnahmen aus Energieexporten im Februar und März noch weiter sinken werden, wenn am 5. Februar die nächste Stufe der G7-Preisobergrenze für Erdölprodukte in Kraft tritt. Schon im Sommer vergangenen Jahres gab es Turbulenzen an den Märkten, die Russland vor der Staatspleite sahen.
Nach Schätzungen des CentroCreditBank-Ökonomen Jewgeni Suworow könnte die Einnahmelücke im russischen Haushalt zwei- bis dreimal höher ausfallen als die 54,5 Milliarden Rubel, die im Jänner fehlten. "Dies erfordert einen Anstieg der Devisenverkäufe", schrieben auch die Analysten der Rosbank jüngst in einer Einschätzung. Durch eine Wechselkursdynamik, also eine Stärkung des Rubels, könnte sich die Öl- und Gaseinnahmen noch weiter verschlechtern.
Das russische Finanzministerium und die Zentralbank hatten jüngst angekündigt, zum ersten Mal seit fast einem Jahr wieder auf den Devisenmärkten zu intervenieren. Die Regierung in Moskau versucht, die Wirtschaft wegen der immer schärferen westlichen Sanktionen gegen Russlands Energieverkäufe zu stabilisieren. Russland ist extrem abhängig von den Exportsteuern aus dem Verkauf von Kohlenwasserstoffen, um seine Ausgaben zu finanzieren. Diese sind wegen des Krieges in der Ukraine horrend.
Prozess könnte schwächere Exporteinnahmen auslösen
Die Regierung plant deshalb, in den nächsten rund zwei Wochen die chinesische Währung Yuan im Wert von 54,5 Milliarden Rubel (760 Millionen Euro) aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds zu verkaufen, um die geringeren Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport zu decken. Analysten sind jedoch der Meinung, dass die Devisenverkäufe den russischen Rubel nur höher treiben werden. Dadurch würden Russlands Einnahmen in Rubel weiter sinken. Denn die Umsätze aus den Öl- und Gasexporten basieren größtenteils auf globalen sogenannten Benchmark-Preisen, die in Dollar festgelegt werden.
Dieser Prozess könnte schwächere Exporteinnahmen auslösen, was weitere Devisenverkäufe erfordern könnte und zu einem noch stärkeren Rubel führt. Dies wiederum würde das Haushaltsloch noch vergrößern. Die russische Währung hat seit der Ankündigung des Plans von Ministerium und Notenbank gegenüber dem Dollar um mehr als vier Prozent zugelegt und wurde am Freitag zum Dollar mit rund 68 gehandelt.
Defizit von 3,3 Billionen Rubel
Russland verzeichnete 2022 ein Defizit von 3,3 Billionen Rubel, was 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht - eines der schlechtesten Ergebnisse seit dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin vor mehr als zwei Jahrzehnten. Regierungsvertreter haben auch öffentlich erklärt, dass sie einen schwächeren Rubel bevorzugen. Dies allerdings könnten Deviseninterventionen verhindern. So erklärten die Experten der Alfa Bank, es sei "rätselhaft", dass das Finanzministerium die Devisenverkäufe wieder aufnehmen wolle, während der Kreml gleichzeitig einen schwächeren Rubel anstrebe.
Russlands Haushalt für dieses Jahr fußt auf einem Preis für die russische Rohölsorte Ural von etwa 70,10 Dollar je Barrel, obwohl dieses Öl derzeit nur zu etwa 58 Dollar pro Fass gehandelt wird. Nach Reuters-Berechnungen gab es jüngst hier mit rund 50 Dollar pro Fass - in Rubel gerechnet - ein Zweijahrestief. "Wenn die relativ niedrigen Preise für Ural lange anhalten und der Rubel eher stark bleibt, wird sich das Haushaltsloch aufblähen", sagte Anton Tabach, Chefökonom von RA Expert. Das staatliche Geldinstitut Sberbank schätzt, dass die Regierung bei einem Durchschnittspreis für Ural-Öl von 55 Dollar pro Barrel und einem Rubelkurs von 67 zum Dollar jeden Monat 1,5 Milliarden Dollar - oder 100 Milliarden Rubel - an Devisenbeständen verkaufen müsste, um die Lücke zu schließen.