1000 Tage Krieg in der Ukraine: Wie es anderen Ex-Sowjetrepubliken erging
WIEN. Die frühere Sowjetrepublik Ukraine befindet sich seit 1.000 Tagen im Abwehrkrieg gegen Russland, das einst die Sowjetunion wirtschaftlich, politisch und militärisch angeführt hatte.
Die Ukraine ist bei weitem nicht die einzige Ex-Sowjetrepublik in Osteuropa bzw. dem Südkaukasus, die im Konflikt mit Moskau liegt, aber bei weitem die flächenmäßig größte.
ESTLAND, LETTLAND, LITAUEN
Die drei baltischen Staaten haben die West-Integration nach dem Ende der Sowjetunion 1991 zügig vorangetrieben. Sie wurden bereits 1999 in die NATO aufgenommen, der EU-Beitritt aller drei erfolgte 2004. Dass Moskau eine völkerrechtlich bindende Zusage des Westens bekam, dass frühere Teile der UdSSR nicht in die NATO-Allianz aufgenommen werden, wie dies aus Russland und auch von anderen Seiten manchmal zu hören ist, entspricht nicht den historischen Tatsachen.
Der wenige Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs verstorbene, letzte Sowjet-Führer Michail Gorbatschow selbst hat die NATO-Osterweiterung einerseits scharf kritisiert, andererseits räumte er ein, dass er in der Frage einer NATO-Osterweiterung im Zuge der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands nicht vom Westen betrogen worden sei, wie es ihm vorgeworfen wurde: "Ich werde oft gefragt, warum nicht vertraglich fixiert wurde, dass sich die NATO nicht nach Osten ausdehnt. Dazu sage ich: 1990 existierten noch NATO UND Warschauer Pakt. Was sollte man da fixieren? Die Frage stellte sich gar nicht", betonte Gorbatschow 2014 im Interview mit dem deutschen Sender ZDF mit Blick auf das frühere, mit der NATO konkurrierende Ostblock-Militärbündnis.
GEORGIEN
Im kleinen, aber ethnisch und sprachlich äußerst vielfältigen Georgien sorgte gleich nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion eine betont nationalistische Regierung für Aufruhr und Gewalt an mehreren Fronten. In den 90er-Jahren sagten sich vor allem Südossetien und Abchasien nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Regierung in Tiflis mithilfe Russlands vom georgischen Staat los und entziehen sich bis heute der Zentralgewalt.
Nach Jahren, in denen es ruhiger war, brachte 2003 die sogenannte Rosenrevolution den von den USA unterstützten Micheil Saakaschwili ins Präsidentenamt. Ähnlich wie die baltischen Staaten zuvor drang er auf einen raschen Beitritt zu EU und NATO. Genauso wie der NATO-Beitritt der Ukraine war auch jener Georgiens am Tapet des NATO-Gipfels 2008 in Bukarest. Mangels Einigkeit unter den Bündnispartnern gab es aber auch hier nur eine Beitrittsperspektive ohne Datum.
Im gleichen Jahr kam es zum fünftägigen August-Krieg zwischen Georgien und Russland, als Saakaschwili versuchte, Südossetien mit militärischer Gewalt wieder einzugliedern. Russische Truppen standen kurz vor Tiflis; Georgien verlor den Krieg, Moskau erkannte Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten an und hat dort bis heute Tausende Truppen stationiert.
Bildergalerie: Die wichtigsten Ereignisse im Ukraine-Krieg
Galerie ansehenDie Abwahl Saakaschwilis brachte die von Bidsina Iwanischwili neu gegründete politische Kraft Georgischer Traum an die Regierung. Der Unternehmer war durch Geschäfte in Russland zum Milliardär avanciert. Zunächst prägten pro-europäische Gruppierungen die Partei. Nach dem Assoziierungs- und vertieftem Freihandelsabkommen mit der EU, verabschiedeten sich diese aber nach und nach im Streit von Georgischer Traum. Die schleichende Abkehr vom Westkurs der georgischen Regierung gipfelte im vergangenen und diesem Jahr in Gesetzen, die das Land in Angleichung an russische Verhältnisse von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wegführten und einer von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl, bei der die Iwanischwili-Partei, gegen die es Massenproteste gab, zum vierten Mal in Folge zur Siegerin erklärt wurde. Dabei hatte Georgien kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs noch den Status eines EU-Beitrittskandidaten beantragt und diesen vor knapp einem Jahr auch erhalten.
ARMENIEN und ASERBAIDSCHAN
Armenien blieb mangels eigener Ressourcen sicherheitspolitisch und wirtschaftlich eng an Russland angelehnt, obwohl beide keine gemeinsamen Grenzen haben. Aserbaidschan brachte es unter autoritärer Führung dank seiner Einnahmen aus dem Öl- und Gasreichtum zu weitgehender Eigenständigkeit. Während Russland als Schutzmacht des christlichen Armeniens fungierte, von der sich die Regierungen in Jerewan mangels Alternativen nicht lösen konnten, hat Aserbaidschan an erster Stelle die Türkei zum Verbündeten.
Beide Südkaukasus-Staaten waren lange Jahre in den Konflikt um die von Armeniern bewohnte, aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Region Berg-Karabach verstrickt. Seit 1994 herrschte ein immer wieder brüchiger Waffenstillstand. Als Aserbaidschan in den letzten Jahren etappenweise Berg-Karabach zurückeroberte und die 120.000 Karabach-Armenier vertrieb griffen weder eine zwischenzeitlich eingerichtete, russische Schutztruppe noch die in Armenien ständig stationierten russischen Truppen ein. Seither sucht die seit 2018 im Amt befindliche Regierung unter dem reformorientierten Premier Nikol Paschinjan die Annäherung an den Westen in der Sicherheitspolitik und in Emanzipation von Moskau die Diversifizierung seiner ausländischen Partner allgemein.
Nach wie vor gehört Armenien der russisch dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) an, nicht aber der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) mit China und Russland an der Spitze. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev sieht indes offensichtlich keinerlei Vorteile, Aserbaidschan in internationale Strukturen wie die NATO oder die SCO zu integrieren, und macht keinerlei Anstalten in die eine oder andere Richtung.
MOLDAWIEN
Wie Georgien oder die Ukraine betrachtet auch die zwischen der Ukraine und Rumänien gelegene Ex-Sowjetrepublik Moldau einen Teil ihres Staatsgebietes als von Russland besetzt an. Die ehemalige SSR Moldawien kann dabei als typische Schöpfung von Sowjetdiktator Josef Stalin gelten, der Grenzen willkürlich zog und Volksgruppen, die anderswo die Mehrheit stellten in anderen Landesteilen zu Minderheiten degradierte. Im Fall von Moldau teilte Stalin das von Rumänien im Zweiten Weltkrieg besetzte Bessarabien mit mehrheitlich Rumänen auf und schlug dem Hauptteil vor allem slawisch bewohnte Gebiete östlich des Dnjestr (Transnistrien) zu.
Nach der Unabhängigkeit von der UdSSR kam es auch hier zu einem Krieg. Die moldauische Regierung verlor in der Folge die Kontrolle über die international nicht anerkannte "Dnjestr-Republik" mit rund 30 Prozent ethnisch russischer Bevölkerung. Bis heute haben Separatisten und russische Soldaten dort das Sagen.
In der moldauischen Hauptstadt Chișinău haben sich seither eher pro-westliche und pro-russische Regierungen und Präsidenten abgewechselt. Zuletzt hatten die Pro-Europäer die Oberhand: Amtsinhaberin Maia Sandu gelang Anfang November trotz versuchtem Stimmenkauf und Einflussnahme Russlands die Wiederwahl. Auch Moldau wollte und erhielt nach dem Überfall Moskaus auf die Ukraine den EU-Kandidatenstatus.
BELARUS
Belarus wird seit 1994, also seit 30 Jahren, von Alexander Lukaschenko autoritär regiert, der vor dem Ukraine-Krieg oftmals als "letzter Diktator Europas" bezeichnet worden war. Er ist damit sechs Jahre länger an der Macht als Wladimir Putin in Moskau. Lukaschenkos Regime blieb an stark Russland angelehnt. Seine Unterdrückung Oppositioneller, unfreie Wahlen und schwere Menschenrechtsverstöße wie Folter zogen EU-Sanktionen gegen seine Regierung nach sich, darunter Einreiseverbote.
Gelegentlich fiel Lukaschenko mit Schwenks Richtung Westen auf, die mutmaßlich Gelder aus Europa bringen sollten. Er beendete sie aber bald darauf genauso abrupt, wie er sie eingeleitet hatte. Die Schwenks sollten wohl in erster Linie ein Signal an Russland sein, dass man in Minsk nicht völlig alternativlos aneinander gebunden sei. Damit war 2020 endgültig Schluss: Die Fälschung der Präsidentenwahl und die Niederschlagung der Massenproteste dagegen bildeten den Bruch. Viele in ihrer Heimat verfolgte, belarussische Oppositionelle leben in der EU im Exil. Wie eindeutig Belarus an Russland orientiert ist, zeigt die gleichzeitige Mitgliedschaft sowohl in der SCO als auch in der EAEU.