Putins Waffenruhe hielt erwartungsgemäß nicht
MOSKAU/KIEW. In der Ukraine ist es trotz der von Kremlchef Wladimir Putin einseitig verkündeten eineinhalb Tage langen Waffenruhe zu erneuten Kämpfen gekommen.
Die Ukraine, die die Feuerpause anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfests als heuchlerisches Ablenkungsmanöver der russischen Angreifer ablehnt, erklärte am Freitag, ihre Soldaten hätten vor allem im östlichen Donezker Gebiet wieder angegriffen. Angegriffene russische Truppen erwiderten Moskau zufolge auch das Feuer.
"Auf diese Weise gratulieren sie den Besatzern zum bevorstehenden Weihnachten!", erklärte das Verteidigungsministerium in Kiew zu den Angriffen der eigenen Truppen. In der Kleinstadt Bachmut seien Stellungen der Russen mit 120-Millimeter-Mörsergranaten als "Geschenk" beschossen worden. Das ukrainische Präsidialamt berichtete zudem von Angriffen auf die Städte Kramatorsk und Kurachowe. "Der Widerstand geht weiter, bis der letzte russische Eindringling auf ukrainischem Boden getötet ist!", hieß es in der Mitteilung aus Kiew.
Die von Putin einseitig angekündigte Feuerpause ab Freitagmittag Moskauer Zeit (10.00 Uhr MEZ) wäre die erste Waffenruhe entlang der gesamten Frontlinie seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar vergangenen Jahres gewesen. Für rund zwei Stunden galt am Freitag für die gesamte Ukraine trotz der Waffenruhe Luftalarm. Der Auslöser dafür sollen Medienberichten zufolge mehrere über dem benachbarten Belarus aufgestiegene russische Flugzeuge gewesen sein, die Angst vor neuen Angriffen schürten.
Das russische Militär wiederum warf der ukrainischen Seite Angriffe vor. Obwohl sich das russische Heer an die Feuerpause halte, habe die Ukraine weiter mit Artillerie auf Ortschaften und Positionen gefeuert, erklärte Armeesprecher Igor Konaschenkow in Moskau. Es gab demnach an drei Frontabschnitten Gefechte. Im Norden nahe der Kleinstadt Lyman habe ukrainisches Militär mit Granatwerfern geschossen, etwas weiter südlich bei der Ortschaft Bilohoriwka im Gebiet Luhansk mit Artillerie. Im Süden des Gebiets Donezk habe es ebenfalls Artilleriefeuer auf russische Positionen gegeben. Die russischen Truppen schossen demnach zurück. "Bei der Feuererwiderung wurden die Positionen der ukrainischen Streitkräfte, von denen die Schüsse abgegeben wurden, niedergehalten", sagte Konaschenkow.
Äußerst beleidigende Schimpftirade von Russlands Ex-Präsidenten
Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew beschimpfte die ukrainischen Politiker angesichts der Ablehnung der Waffenruhe. "Schweine haben keinen Glauben oder ein angeborenes Dankbarkeitsgefühl. Sie verstehen nur rohe Gewalt und fordern von ihren Herren quiekend Fressen", schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrats in seinem Telegram-Kanal. Auch über Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock zog der 57-Jährige in dem Zusammenhang her.
Laut Medwedew hat die russische Führung den Ukrainern die "Hand christlicher Nächstenliebe" ausgestreckt. Diese sei ausgeschlagen worden, auch weil der Westen den Weihnachtsfrieden nicht zugelassen habe. "Selbst das ungebildete Weib Baerbock und eine Reihe weiterer Aufseher im europäischen Schweinestall haben es geschafft, über die Unzulässigkeit einer Waffenruhe zu meckern", schrieb Medwedew.
Putin verkündete Waffenruhe nach Aufforderung des Moskauer Patriarchen
Die Weihnachtswaffenruhe hatte Putin am Donnerstag auf Bitten des Moskauer Patriarchen Kirill verkündet. Dieser ist ein glühender Anhänger von Putins Eroberungskrieg als "Krieg gegen den dekadenten Westen". Die Waffenruhe sollte wegen des Weihnachtsfests noch bis Mitternacht von Samstag auf Sonntag gelten. Die orthodoxen Kirchen in Russland und in der Ukraine feiern die Geburt Jesu Christi traditionell nach dem julianischen Kalender am 7. Jänner. Kiew lehnt die Feuerpause allerdings als "Heuchelei" ab. Sie diene der russischen Armee nur dazu, ihre Kräfte umzugruppieren. Beim orthodoxen Osterfest im April vergangenen Jahres hatte Moskau noch eine Feuerpause mit ähnlicher Begründung zurückgewiesen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich mit einer Weihnachtsbotschaft an seine Bürger. "Das ist ein Feiertag der Harmonie und des Familienzusammenhalts. Und zusammen sind wir alle eine große ukrainische Familie", sagte er. Die ukrainische Familie sei heute "geeint wie nie zuvor", betonte er. Zugleich dankte er den USA und Deutschland für die jüngst bekanntgegebenen Panzerlieferungen. "Es ist uns gelungen, die Stärke der Ukraine und die Zusammenarbeit bei der Verteidigung mit den Partnern auf ein neues Level zu bringen", betonte er.
Zuvor hatten die USA ein neues Paket für Kiew im Umfang von etwa drei Milliarden US-Dollar (2,8 Milliarden Euro) verkündet, worin auch Schützenpanzer vom Typ Bradley enthalten sein sollen. Aus Deutschland soll das angegriffene Land etwa 40 Schützenpanzer vom Typ Marder und ein Patriot-Flugabwehrsystem erhalten. "Deutschland hat einen bedeutenden Schritt nach vorne gemacht bei der Stärkung der Sicherheit nicht nur der Ukraine, sondern ganz Europas", sagte Selenskyj, der zuvor auch mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz telefoniert und sich bei ihm bedankt hatte. Wie die Regierung in Berlin mitteilte, sollten die Panzer noch im ersten Quartal geliefert werden.
Papst Franziskus rief am Freitag zum Gebet für die Ukraine und für ein Ende der Kämpfe auf. "Die Geburt des Erlösers möge Trost und Hoffnung verleihen und konkrete Schritte anregen, die endlich ein Ende der Kämpfe und den Frieden herbeiführen können", sagte das katholische Kirchenoberhaupt nach dem Angelus-Gebet vor Tausenden Menschen auf dem Petersplatz in Rom. Der 86 Jahre alte Argentinier richtete Grüße an die orthodoxe Kirche, die am Samstag Weihnachten feiert. "Besonders möchte ich sie den Brüdern und Schwestern des gemarterten Volkes der Ukraine zukommen lassen", sagte Franziskus.
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