Uneinigkeit über die Namenslisten: Befreiung von Geiseln gerät ins Stocken
GAZA / JERUSALEM. Heute fällt die Entscheidung, ob die viertägige Feuerpause im Gazastreifen verlängert wird
58 israelische Geiseln, im Gegenzug 177 in Israel inhaftierte Palästinenser, waren bis Montag freigekommen. Doch dann stockte der Austausch: Israel und die radikal-islamische Hamas äußerten einem Insider zufolge Bedenken über die Liste der verschleppten Menschen und der palästinensischen Häftlinge, die im Lauf des Tages im Austausch freigelassen werden sollten. Die katarischen Vermittler arbeiteten daran, die Bedenken auszuräumen, hieß es.
Der Zeitung "Haaretz" zufolge berichten palästinensische Quellen, dass einer der Streitpunkte sechs Inhaftierte betrifft, die vor dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober festgenommen wurden, die aber Israel nicht auf seiner Liste hat. "Verhandlungen gehen weiter", teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag mit. In der Nacht auf Montag habe man eine Liste mit den Namen von elf Geiseln erhalten, die freikommen sollten. Bei den vorherigen Freilassungen wurden die entsprechenden Namen mindestens zwölf Stunden vor der Freilassung ausgetauscht.
Für längere Feuerpause
Heute früh endet die zunächst für vier Tage vereinbarte Feuerpause im Gazastreifen. Am Montag gab es vermehrt Aufforderungen, sie zu verlängern. Sie sollte verlängert werden, um sie "nachhaltig und von langer Dauer zu machen, während auf eine politische Lösung hingearbeitet wird", sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, dass eine Verlängerung "die dringend benötigte Hilfe für die Menschen in Gaza und die Freilassung weiterer Geiseln" ermöglichen würde. Ähnlich äußerte sich US-Präsident Joe Biden.
Netanjahu hatte am Sonntag grundsätzlich Bereitschaft zu einer Verlängerung der Feuerpause signalisiert. Demnach sieht das Abkommen mit der Hamas die Möglichkeit vor, die Kampfpause im Gegenzug für die Freilassung von jeweils zehn weiteren Geiseln pro Tag zu verlängern.
Keine Misshandlungen, wenig Essen
Israelische Geiseln sind nach Angaben ihrer Angehörigen während ihrer Gefangenschaft bei der islamistischen Hamas im Gazastreifen nicht misshandelt worden. „Es ist sehr tröstlich, das zu wissen“, sagte Osnat Meiri, ein Cousin der freigelassenen Geisel Keren Munder.
Die Bedingungen der Geiselhaft wurden aber von allen als hart beschrieben. Die Menschen hätten sich selbst Essen zubereitet, schrieb die israelische Zeitung „Yedioth Achronot“. „Es gab aber auch Tage, an denen es nichts zu essen gab, und manchmal mussten die Verschleppten eineinhalb Stunden warten, bis sie zur Toilette durften“, zitierte die Zeitung Merav Raviv, eine Angehörige der Familie Munder. An einigen Tagen habe es nur Pita-Brot (Fladenbrot) gegeben, und wenn es auch das nicht mehr gäbe, dann hätten die Festgehaltenen nur eine kleine Portion Reis erhalten. Es habe auch keine Liegen oder Betten gegeben, geschlafen worden sei auf Bänken oder zusammengeschobenen Stühlen. Die Menschen seien während ihrer fast siebenwöchigen Geiselhaft nicht immer in unterirdischen Räumen festgehalten worden. „Sie wurden immer mal an einen anderen Ort gebracht“, sagte Raviv.
Unter der Leiche überlebt
Vor allem das Schicksal eines vierjährigen US-amerikanischen Mädchens bewegt die Herzen vieler Menschen. Die Kleine musste vor ihrer Verschleppung die Ermordung ihrer beiden Eltern mitansehen. An jenem 7. Oktober war die damals Dreijährige mit ihren beiden zehn und sechs Jahre alten Geschwistern zu Hause an der Grenze zum Gazastreifen, als die Terroristen der Hamas einfielen und vor den drei Kindern die Mutter erschossen. Als ihr Vater sich schützend über seine Tochter legte, wurde auch er erschossen. Ihre Geschwister hätten nur überlebt, weil sie sich in einem Kasten versteckt hätten, wo sie 14 Stunden lang ausgeharrt hätten, bevor sie gerettet worden seien, hieß es.
Ihre kleine Schwester, die zunächst für tot gehalten wurde, war unter der Leiche ihres Vaters hervorgekrochen und zu den Nachbarn gerannt. Die Terroristen ergriffen sie dort zusammen mit der fünfköpfigen Nachbarsfamilie und verschleppten sie in den Gazastreifen. Am vergangenen Freitag wurde die Kleine in Gefangenschaft vier Jahre alt. Am Samstag kam sie frei.
Hat Netanjahu überhaupt bei Schallenberg, Sobotka und Nehammer nachgefragt, ob er einer Feuerpause zustimmen darf?