EuGH-Urteil zu Afghaninnen: Österreich bleibt bei Einzelfallprüfungen
WIEN. Die österreichischen Behörden werden auch nach einem EuGH-Urteil an Einzelfallprüfungen bei Asylanträgen von Afghaninnen festhalten.
Dies teilte ein Sprecher von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Montag mit. Laut dem Urteil muss nicht festgestellt werden, ob einer Afghanin bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen drohen. Es genüge daher, lediglich Staatsangehörigkeit und Geschlecht zu berücksichtigen. "Das Urteil schließt jedoch Einzelfallprüfungen nicht aus. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird deshalb auch weiterhin mit Einzelfallprüfungen vorgehen", betonte der Sprecher.
Keine Entscheidungsfunktion
Das EuGH-Urteil war vom Verwaltungsgerichtshof erwirkt worden, also der Berufungsinstanz des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Es ging um zwei Frauen, denen die österreichischen Behörden den Flüchtlingsstatus zuerkannt haben. Dem EuGH-Urteil kommt im konkreten Fall keine Entscheidungsfunktion zu. Das EU-Höchstgericht gibt nur seine Einschätzung zu dem Fall ab. Das Urteil wird vom anfragenden Gericht, also im konkreten Fall dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gefällt.
Experten sehen im EuGH-Urteil weitreichende Folgen für die Migrationspolitik. "Die Schlepper müssen nur noch schauen, dass sie Frauen aus Afghanistan in einen EU-Staat bringen. Danach kommen die Mitglieder der Kernfamilie über den Familiennachzug nach", sagte der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer der "Presse" (Onlineausgabe). Er forderte einen Judikaturwandel, um zu verhindern, dass in der Folge aufgrund von politischem Druck "die ganze Konstruktion des Grundrechtsschutzes mit EMRK und Grundrechtecharta sowie EGMR und EuGH infrage gestellt wird".
"Gewisse Korrektur notwendig"
Ähnlich äußerte sich die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Irmgard Griss. Die Entscheidung entspreche der bisherigen Judikatur und sei "konsequent", doch hätten sich die Verhältnisse mittlerweile "gewaltig verändert". Eine "gewisse Korrektur" der EuGH-Judikatur in Migrationsfragen sei daher "notwendig", so die frühere NEOS-Abgeordnete. "Man muss schon auch auf die Einstellung in der Bevölkerung eingehen. Sonst wird das Vertrauen in die Rechtsprechung und das Ansehen der Gerichte beschädigt."
Scharfe Kritik seitens der FPÖ
Das Urteil wurde von der FPÖ scharf kritisiert und von der SPÖ begrüßt. Es sei zwar offensichtlich, dass Frauen in islamistisch regierten Staaten unterdrückt werden, so die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger am Freitag. "Daraus aber ein generelles Asylrecht für sämtliche Frauen abzuleiten, beweist, dass der EuGH völlig weltfremd ist und mit seinen Urteilen eine restriktive und am ursprünglichen Gedanken des Schutzes im nächstgelegenen sicheren Land orientierte Asylpolitik mit aller Kraft sabotiert."
Hingegen meinte die SPÖ-Europaabgeordnete Elisabeth Grossmann, das Urteil sei eine "wegweisende Entscheidung für Frauenrechte weltweit" und "der richtige Schritt, um ein Zeichen gegen die jüngsten anti-feministischen und explizit frauenfeindlichen Strukturen im Land zu setzen und Frauen den Schutz anzubieten, den sie dringend brauchen".