Architekturkritik: Ein Raum im Dazwischen
OFFENHAUSEN. In der Pfarrkirche von Offenhausen schuf Arnold Reinthaler einen Kapellenraum, dessen sensible Gestaltung der Leere Konzentration und Kontemplation ermöglicht.
Weihnachten lädt – auch die Architekturkritik – dazu ein, ein paar Gedanken zu fassen, die zumindest zeitweise wegführen von den krisengeschüttelten Realitäten unserer Gegenwart. Können Räume dabei helfen? Die klare Antwort lautet: Ja!
Im Rahmen der 2023 durchgeführten, dringend notwendig gewordenen Innensanierung der stilistisch der Spätrenaissance zuzuordnenden Pfarrkirche St. Stephan in Offenhausen gestaltete der in Wien lebende, aus Offenhausen stammende Künstler Arnold Reinthaler eine der beiden historischen Seitenkapellen neu. Einen Arbeitsschwerpunkt Reinthalers bildet die Skulptur bzw. die Integration skulpturaler Werke in räumliche Zusammenhänge.
Für Offenhausen entwickelte er ein Konzept konsequenter Reduktion auf wenige Gestaltungs- und Bedeutungselemente. Sie entfalten ihre Wirkung vor dem Hintergrund der nun reinweiß gehaltenen Wände und Architekturglieder des lichtvollen Kapelleninneren. Zwischen den zurückhaltenden künstlerischen Interventionen und der Raumarchitektur entsteht ein feines, symbolisch bedeutungsvolles Wechselspiel.
Kontemplative Symbolik
Entlang der Wand folgt eine durchlaufende, helle Sitzbank dem Rund der Apsis. Sie ist eine traditionelle Einladung, Platz zu nehmen, Gemeinschaft zu bilden, sich zu treffen oder zu kommunizieren. Schlicht gestaltete Hocker können unter der Bank hervorgezogen werden und als individuelle Sitzgelegenheiten im Raum genutzt werden. Im Zentrum der Apsis befindet sich ein flach in den Boden eingetieftes Wasserbecken, das von einem breiten Metallring eingefasst ist. Die vielfältigen, mit dieser einfachen Form verbundenen religiösen Assoziationen können hier nicht aufgezählt werden. Taufe, Lebensquell oder Weltenkreis sind wohl am naheliegendsten.
Aus dem Gewölbemittelpunkt sticht ein überlanger, spitz zulaufender Metalldorn senkrecht nach unten weit in den Raum hinein. Mag er im ersten Moment irritierend "bedrohlich" wirken, so mindert sich dieser Eindruck, wenn man seinen Zweck erkennt. In regelmäßigem Takt fallen einzelne Wassertropfen aus der Spitze in das darunterliegende Becken.
Laut Reinthaler sind die fallenden Wassertropfen in ihrer Kleinheit und Selbstverständlichkeit das eigentliche skulpturale Ereignis innerhalb seiner Raumschöpfung. Natürlich können die Tropfen als Symbol des Lebens und der vergehenden Zeit gedeutet werden. Darüber hinaus durchmessen sie durch ihr Fallen den Kapellenraum in der Vertikalen. Das Apsisgewölbe (man mag darin ein Abbild des Himmels sehen) wird mit dem kreisförmigen Bassin im Boden durch die Falllinie ideell verbunden. Raum und Zeit werden auf diese schlichte Weise eindrücklich miteinander verschränkt.
Raum zwischen den Welten
Die neu gestaltete Kapelle besitzt einen separaten Eingang. Dies ist wesentlich für das künstlerische Konzept, da der Raum besucht werden kann, ohne dass man das von seiner sakralen Ausstattung dominierte Hauptschiff durchschreiten muss. Andererseits kann dieses von außen durch die Seitenkapelle betreten werden. In dieser Richtung fungiert sie als einstimmender Übergangsraum aus der profanen Sphäre der Außenwelt in die Sakralität des Kirchenhauptschiffs.
Eingezwängt zwischen Kirche und einem Offenhausener Traditionsgasthaus schafft Reinthalers Kapellenraum eine weitgehend autonome Zwischensphäre, die befreit ist von überbordender religiöser Ausstattung und eindeutiger Symbolik. Diese Radikalität der Reduktion führte während des langen Planungs- und Ausführungsprozesses zu erheblichen Kontroversen. Letztlich gelang es jedoch, wesentliche Teile des künstlerischen Konzepts zu realisieren.
Arnold Reinthaler wünscht sich für die von ihm gestaltete Kapelle eine vielfältige Nutzung. Sie soll nicht nur kirchlichen Zwecken dienen, sondern für Lesungen, Konzerte und Treffen aller Art offenstehen. Nicht nur räumlich, auch funktional nimmt der Raum damit eine Zwischeneinstellung ein, die sakrales und profanes Leben angenehm unaufdringlich miteinander verknüpft. Für derartige Räume eines ungezwungenen "Dazwischen" besteht – auch außerhalb sakraler Kontexte – ein großer Bedarf. Nicht nur zu Weihnachten.
Datenblatt
- Raumgestaltung und künstlerisches Konzept: Arnold Reinthaler, Wien
- Auftraggeber: Katholische Pfarre St. Stephan, Offenhausen
- Planung: 2020 bis 2023
- Fertigstellung: Frühling 2024