"Rattengedicht" bringt Österreich in die internationalen Schlagzeilen
BRAUNAU/LINZ. Internationale Medien, darunter die britische BBC, haben über das ausländerfeindliche "Rattengedicht" der Braunauer FPÖ berichtet. Vizebürgermeister Schilcher legte sein Amt zurück und trat aus der Partei aus. Für die SPÖ reicht diese Konsequenz nicht aus.
Wie berichtet, hatte der Braunauer Vize-FP-Bürgermeister Christian Schilcher unter seinem Pseudonym "Die Stadtratte" ein kritisches Gedicht über Migranten und die Asylpolitik veröffentlicht. Zu lesen war auch von einem "Nagetier mit Kanalisationshintergrund".
Die Aufregung war nicht nur in Österreich groß. Zahlreiche reichweitenstarke deutsche Online-Medien hatten die Causa aufgegriffen, darunter die Welt, FAZ und Focus Online. Die Deutsche Presse-Agentur und die französische AFP berichteten ebenso darüber wie der britische Sender BBC auf seiner Website und politico.eu.
"The Hill" in Washington, die sich vorrangig mit dem Geschehen im US-Kongress und internationalen Beziehungen der USA beschäftigt, übernahm auf seiner Website den Bericht von Politico. Auch in Italien oder Ungarn wurde beispielsweise berichtet.
Erwähnt wurde im Zusammenhang mit dem Gedicht des inzwischen zurückgetretenen Schilcher, dass Braunau die Geburtsstadt von NS-Diktator Adolf Hitler war. "Aufschrei durch 'tief rassistisches' Gedicht in Österreich ausgelöst", titelte etwa die BBC unter Zitierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Der Online-Text des Senders wurde von einem Bild des Kanzlers begleitet.
"In den verbalen Mist gegriffen"
FP-Bundesparteichef Heinz-Christian Strache gab am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz zur EU-Wahl Schilchers Rücktritt bekannt. "Da wurde wirklich in den verbalen Mist gegriffen", sagte Strache. Der Rücktritt erfolge laut Strache, "um Schaden von der Partei abzuwenden".
Schilchers "Rattengedicht" stelle ein Fehlverhalten dar, das nicht mit Grundsätzen der FPÖ vereinbar sei. Schilcher habe seine Entscheidung zum Rücktritt aus Amt und Partei von sich aus getroffen, sagte Strache.
OÖN-TV-Bericht:
Video: So reagiert Parteichef Heinz-Christian Strache
Landesparteichef Manfred Haimbuchner nannte das Gedicht bei einem Pressegespräch in Linz "Schwachsinn" und "Dummheit". Jedoch betonte er auch, dass nicht jede Dummheit ein innenpolitischer Skandal sei. Dass Schilcher als Vizebürgermeister zurücktritt und die FPÖ-Parteimitgliedschaft zurücklegt, sei das "Ergebnis" von Diskussionen, sagte Haimbuchner. Er ließ offen, ob er Schilcher den Rückzug nahegelegt hat.
Staatsanwaltschaft führt Ermittlungen
Das "Rattengedicht" könnte für Schilcher auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Die Staatsanwaltschaft Ried hat Dienstagmittag erklärt, Ermittlungen zu führen. Ein Verfahren sei aber noch nicht eingeleitet worden. "Wir schauen uns das jetzt an", erklärte dessen Sprecher Alois Ebner. Es gehe wohl "primär Richtung Verhetzung".
Landeshauptmann Thomas Stelzer und Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) hatten gestern eine rasche und klare Distanzierung der FPÖ gefordert. Er hoffe, dass nun "alle ihren Frieden" hätten, sagte Haimbuchner.
"Einzig logische Konsequenz"
Er selbst werde nicht zurücktreten, so Haimbuchner. Er richtete der SPÖ-Landesvorsitzenden Birgit Gerstorfer, die seinen Rückzug fordert, aus, dass sie wohl auch genug Arbeit im eigenen Ressort hätte.
"Der Rücktritt des Vizebürgermeisters von Braunau war die einzig logische Konsequenz zu diesem abscheulichen und rassistischen Gedicht. Der klare Schritt des Vizekanzlers und der FPÖ-Spitze war notwendig und richtig", teilte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einer Stellungnahme mit.
Auch die Landes-VP begrüßt Schilchers Rücktritt. "Ein derartig widerwärtiges Gedicht hat in Oberösterreich keinen Platz und wird auch nicht toleriert", sagt Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer. "Hier hat es ganz klare Konsequenzen geben müssen. Der Schritt war alternativlos", so Hattmannsdorfer weiter.
Leichtfried: "Spuk beenden"
Für die SPÖ ist der Rücktritt nicht ausreichend. Der stellvertretende Klubobmann Jörg Leichtfried forderte Kanzler Kurz auf, die Koalition mit der FPÖ zu beenden. Die "Mini-Konsequenz", dass der Verfasser des Rattengedichts nun zurücktrete, reiche natürlich nicht, so Leichtfried in einer Pressekonferenz.
Vielmehr wäre es an der Zeit für Kanzler Kurz "diesen Spuk" zu beenden und auch an den Ruf des Landes zu denken. Solche Menschen hätten in einer Bundesregierung nichts zu suchen, so Leichtfried in Richtung des freiheitlichen Regierungsteams.
Video: Für die drei Oppositionsparteien SPÖ, Neos und Jetzt ist der Rücktritt des Vizebürgermeister von Braunau am Inn, Christian Schilcher (FPÖ), zu wenig. Sie fordern weitere Konsequenzen.
Landes-SP prüft Klage
Oberösterreichs SP-Chefin Birgit Gerstorfer bekräftigte am Dienstag die Forderung nach einem Rücktritt Haimbuchners. Sie kritisierte ebenso wie SPÖ-Klubchef Christian Makor das "Nicht-Handeln von Stelzer". "Diese Untätigkeit ist eines Landeshauptmannes von Oberösterreich nicht würdig und bringt unser Land laufend in schlimmer negativer Weise in die nationalen und internationalen Schlagzeilen", so Makor.
Die SPÖ habe eine juristische Prüfung in die Wege geleitet und werde bei entsprechenden Ergebnissen eine Klage gegen den Verfasser des Gedichts und gegen die FPÖ Oberösterreich, die im Impressum aufscheint, einbringen.
Gerstorfer erwartet von Stelzer entweder ein Ultimatum an seinen Koalitionspartner FPÖ - "als harmlose Variante" - oder aber gleich eine Beendigung der Zusammenarbeit. Angesprochen auf die rot-blaue Koalition in der Stadt Linz sieht sie diese "genauso problematisch", auch wenn sie in dem Fall keine Aufkündigung verlangte.
Grüne für Beendigung aller Koalitionen mit der FPÖ
Für den Grünen Landessprecher Stefan Kaineder ist die SPÖ-Forderung daher nur "mittelmäßig glaubwürdig". Man könne verlangen, dass Köpfe rollen, aber "an der Gesamtsituation wird das nichts ändern". Er forderte ausdrücklich die Beendigung aller Koalitionen mit der FPÖ - von der SPÖ ebenso wie von der ÖVP. Für ihn steht fest: "Es geht um die Zukunft der liberalen Demokratie." Das "Metaprogramm" der FPÖ habe Podgorschek in seiner Rede vor der AfD (Details dazu hier) vorgetragen, "wir haben es auf Video", so Kaineder.
Auch der Grüne Klubobmann Gottfried Hirz befürchtet, dass die FPÖ "so etwas wie ein autokratisches System errichten will". Die FPÖ bediene sich dazu einer Taktik, die laute: "Das Unsagbare sagbar machen." Allerdings gebe es auch Mehrheiten ohne die FPÖ, so Hirz.
Im oberösterreichischen Proporzsystem würde eine Aufkündigung des Arbeitsübereinkommens zwar an der Zahl der blauen Regierungssitze nichts ändern, aber man könne auch mit freien Mehrheiten arbeiten oder Landesräten Kompetenzen nehmen. Allerdings regieren ÖVP und FPÖ in Oberösterreich bequem mit einer Zweidrittel-Mehrheit.
Rendi-Wagner will Hilfe von Van der Bellen
Einen eher ungewöhnlichen Weg im Kampf gegen die Regierung beschreitet SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Sie schreibt einen Brief an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, in dem sie das Staatsoberhaupt um Unterstützung ersucht.
Bezug nehmend etwa auf das umstrittene "Rattengedicht" schreibt sie: "Wir erleben, dass die Grenzen des politischen und menschlichen Anstands laufend ohne Konsequenz überschritten und damit immer weiter verschoben werden." Daran dürfe sich Politik nie gewöhnen. Es müsse Grundkonsens bleiben, dass Menschen nie beleidigt, herabgesetzt oder gedemütigt werden dürfen.
Fakt sei jedoch, dass Bundeskanzler Kurz nicht willens oder in der Lage scheine, diese Entwicklung zu beenden. Deshalb ersuche sie Van der Bellen als wichtige moralische und politische Instanz, Einfluss geltend zu machen, um entsprechenden Entwicklungen Einhalt zu gebieten.
Video: Worum geht es in dem "Rattengedicht"? Eine Zusammenfassung vom Montagabend:
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