Im Schmelztiegel zwischen Bosna und Frühlingsrolle
SINGAPUR. Im Takt des Radetzkymarsches drückt Erich Sollböck Senf, Ketchup und Chilisauce auf die Bosnaweckerl. Der Niederösterreicher betreibt im chinesischen Viertel von Singapur einen Würstelstand und eine österreichische Bäckerei mit Wachauer Laberln.
„Servus in Austria“ steht auf einem Plakat, das Sollböck groß in seinem Stand aufgehängt hat. Aus dem Lautsprecher dröhnt der Radetzkymarsch so laut, dass der eine oder andere Passant verwirrt stehen bleibt. Der Werbegag des Würstlers funktioniert: Mindestens zwei Straßenzüge weiter ist die Musik noch zu hören und zieht Kunden an. Auf Sollböcks Visitenkarten – in Rot-Weiß-Rot gehalten – steht: „Vermutlich der letzte Würstelstand vor dem Äquator“.
Sollböck ist einer von zirka 4,5 Millionen Singapurern. Und die kommen aus der ganzen Welt. Amtssprachen sind Malaiisch, Chinesisch und Tamilisch. Offizielle Landessprache ist Englisch, wobei sich die eine oder andere Eigenart im alltäglichen Sprachgebrauch eingeschliffen hat. Singapurisches Englisch – auch „Singlish“ genannt – zeichnet sich beispielsweise durch seltsame Satzstellungen und die Silbe „lah“ aus, die dem Chinesischen entlehnt ist und von jedermann gerne am Satzende angehängt wird.
Wie vielfältig die Bevölkerung ist, zeigt sich auch an den Stadtvierteln: Hier findet man ein „Little India“, die „Arab Street“ mit zahlreichen Moscheen sowie das Ausgehviertel „Holland Village“ und freilich das bereits erwähnte Chinatown.
Kein Wunder, dass die Söhne und Töchter der Stadt aus allen Himmelsrichtungen kommen, denn Singapur ist eine junge Stadt: 1819 gründete Sir Thomas Stamford Raffles –nach ihm ist eines der Wahrzeichen der Stadt, das Raffles-Hotel, benannt – am alten Handelssitz Singapur die erste Niederlassung.
Die Insel war zuvor nur von 20 malaiischen Fischerfamilien bevölkert und ein Zufluchtsort für Seeräuber. Raffles, Agent der Britischen Ostindien-Kompanie, hatte binnen fünf Jahren mit seinen Leuten die Insel vereinnahmt. Schließlich kaufte er sie dem Sultan von Johor für 60.000 Dollar und eine lebenslange Jahresrente von 24.000 Dollar ab. Ein Schnäppchen also.
Apropos Schnäppchen, die kann man in Singapur vor allem in der Orchard Road machen: Hier finden sich die schicksten Labels, von Armani bis Yves Saint Laurent, teils zu Outlet-Preisen – und das an jeder Ecke. Richtig günstig wird’s in den Kellern der zahlreichen Einkaufszentren, wo neben modischem Schnickschnack Elektronik verkauft wird. Das Apple I-Phone 3 G gibt’s ab 800 Singapur-Dollar, also zirka 400 Euro. Das Geld geht hier niemandem aus, Banken und Wechselstuben sind zuhauf zu finden.
Auch in den Einkaufszentren wuselt es freilich nur so vor Menschen. Bei bis zu sieben Stockwerken stört es die Besucher teilweise gar nicht, dass in einem Zentrum zwei Geschäfte der gleichen Firma vertreten sind. Gott sei Dank finden sich in den großen Konsumtempeln auch immer wieder Masseure, die müde Füße aufpeppeln. Eine halbe Stunde Fußmassage kostet – je nach Verhandlungsgeschick – ab sieben Euro. Da irritiert es nicht einmal, dass man in der Auslage des Salons sitzt und mancher Passant neidisch auf die entspannten Gesichter spechtelt.
Schon heute ist Singapurs Hafen einer der größten weltweit und der Flughafen Changi das Drehkreuz in Fernost. Als Veranstaltungsort für Tagungen, Startpunkt für eine Asienreise oder als Stop-over-Station auf dem Weg nach Australien und Neuseeland erfreut sich die Insel großer Beliebtheit. Mit 700 Quadratkilometern ist die Insel nur sieben Mal so groß wie Linz, aber es leben fast 24 Mal so viele Menschen hier.
Seit März 2008 dreht sich in Singapur mit dem 165 Meter hohen „Singapore Flyer“ das höchste Riesenrad der Welt. Nicht immer allerdings, denn bis vor Kurzem hatte das neue Wahrzeichen grobe technische Probleme. Auf der vorgelagerten Freizeitinsel Sentosa lockt eine eindrucksvolle Underwater-World, in der man mit Rochen und Delfinen schwimmen kann. Neben tropischen Tier- und Vogelparks gibt es Naturschutzgebiete wie das „Bukit Timah Nature Reserve“, in dem mehr Baumarten wachsen als auf dem gesamten nordamerikanischen Kontinent. Nicht zu vergessen ist freilich auch der „Singapore Zoo“ mit seinen Nacht-Safaris. Wo kann man sonst schon weiße Tiger sehen?
Diese Angebotsvielfalt findet zunehmend auch Eingang in die Kataloge der Reiseveranstalter. „Singapur verbindet Tradition und Moderne auf einzigartige Weise und besitzt sicher genug Faszination, um mehrere Tage dort zu verbringen“, heißt es da etwa.
Und weil der Changi-Flughafen (hier liegen übrigens Spannteppiche in den Gates) von Singapur zu den fünf wichtigsten in Asien gehört, lassen viele Weltenbummler ihren Urlaub mit einem Zwischenstopp in der Metropole ausklingen.
Die Stoßzeit beim Würstelstand ist vorbei. Glücklich kauen die Singapurer ihre Leberkässemmeln. „Was im asiatischen Essen drinnen ist, weiß man nie so genau, also fragt auch keiner nach, woraus der Leberkäse besteht“, sagt Erich Sollböck und grinst verschmitzt.
Eine Landkarte von Österreich markiert, aus welchen Ecken Österreichs schon Besuch bei Sollböck war. Kein Wunder, dass man hier auch Vitus Mostdipf trifft (siehe Geschichte unten). Genüsslich lehnt er an der Theke und freut sich über die heimische Kost. „Endlich amoi wås Gscheit’s“, sagt er. Nur die gewünschten Bratwürstel süß-sauer gibt’s nicht.