Der "alte Mann" übertraf sich selbst
ZHANGJIAKOU. Manuel Fettner (36), im Weltcup nie besser als Dritter, holte sensationell Olympia-Silber.
"Warum hört der eigentlich nicht auf?" Viele hatten Manuel Fettner im Spätherbst seiner Karriere abgeschrieben. Der gebürtige Wiener war zwar Team-Weltmeister 2013 geworden, in 20 Weltcup-Jahren aber stets im Schatten anderer rot-weiß-roter "Überflieger" gestanden. Bis gestern. Auf der Normalschanze in Zhangjiakou sprang der 36-Jährige ins Rampenlicht und hinter Ryoyu Kobayashi (Jpn) zur olympischen Silbermedaille, die nicht einmal die kühnsten Optimisten erwartet hatten. Warum auch?
Fettner war zwischenzeitlich komplett weg vom Fenster und in Weltcup-Einzelbewerben insgesamt "nur" dreimal Dritter – zuletzt im Jänner 2017 in Willingen, also vor einer gefühlten Ewigkeit. "Wenn es mir nicht so viel Spaß gemacht hätte, hätte ich längst den Hut draufgehaut", betonte Fettner. "Es geht nicht immer um Podestplätze, sondern in erster Linie um die Freude. Und der Sport hat mir immer getaugt."
Auf den Spuren von Kasai
Gestern wollte der Tiroler aber auf keinen Fall Vierter werden, sondern die Gunst der Stunde nutzen. Als Fünfter des ersten Durchgangs hatte er sich in Lauerposition gebracht, im Finale ließ er es mit einem gewaltigen Satz auf 104 Meter (Bestweite) richtig krachen.
Bildergalerie: Silberner Sonntag: Fettner und Kindl holen Medaillen
Galerie ansehen"Das bedeutet mir sehr viel, ich bin einfach nur überglücklich und möchte es genießen. In meinem Kopf ist gerade eine komplette Achterbahnfahrt", sagte jener Mann, der mit 36 Jahren, sieben Monaten und 22 Tagen zum zweitältesten Skisprung-Medaillengewinner im Zeichen der fünf Ringe avancierte. Der legendäre Noriaki Kasai hatte 41 Jahre, acht Monate und elf Tage auf dem "Buckel", als er 2014 in Sotschi Silber von der Großschanze eroberte. Der Japaner springt auch mit 49 noch, bei den Winterspielen ist er aber aufgrund fehlender Resultate nur als TV-Co-Kommentator vertreten.
Wie lange Fettner noch aktiv sein wird, ist offen. Seine Hartnäckigkeit hat sich definitiv gelohnt. "Ich muss schon sagen, das Alter macht es nicht leichter. Aber man kann sich wahrscheinlich noch mehr über die Medaille freuen, als wenn das mit 20 passiert wäre", sagte der Routinier, dessen Halbbruder Daniel als Pressechef der ÖSV-"Adler" in Peking aktiv ist.
Fettners Husarenstück beeindruckte auch seine Teamkollegen. Es gibt keinen, der ihm den Erfolg nicht gönnt. "Der alte Hund ist unglaublich", grinste Stefan Kraft, der nach einer soliden Vorstellung auf Platz zehn gelandet war. Für Daniel Huber (13.) war Fettners Performance fast außerirdisch. "Vor den Spielen hatte ihn keiner so richtig auf der Rechnung, aber seit er da ist, springt er wie von einem anderen Stern." Glänzend war auch der Auftritt von Dawid Kubacki. Nach WM-Gold 2019 von der Normalschanze sicherte sich der Pole Olympia-Bronze. (alex)
Verärgerter Cheftrainer
Österreichs Damen sprangen in Abwesenheit von Goldfavoritin Sara Marita Kramer im Einzelbewerb von der Normalschanze an den Medaillen vorbei. Ersatzfrau Lisa Eder, die erst am Donnerstag in China eingetroffen war, belegte Rang acht, Daniela Iraschko-Stolz wurde Zwölfte. Beide qualifizierten sich damit für die heutige Medaillenjagd (12.45 Uhr) im Mixed, Manuel Fettner und Stefan Kraft komplettieren das ÖSV-Quartett. Unliebsame Nebengeräusche gibt es in der Heimat, Damen-Cheftrainer Harald Rodlauer, der aufgrund seiner Corona-Kontaktquarantäne nicht angereist war, sparte in einem Interview nicht mit Kritik. „Keiner hat mich um Rat gefragt, ich hatte null Kontakt mit der sportlichen Führung“, klagte der Steirer. Interimscoach Thomas Diethart habe ihn seit Mittwoch nicht kontaktiert.