"Man muss wissen, was die Tools können und wo ihre Grenzen sind"
FH-Professor Ulrich Bodenhofer über Möglichkeiten und Missverständnisse in Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz, Vernunft- und Vertrauensfragen und die Anziehungskraft des Analogen
Sie sind mitten unter uns. Nein, keine Sorge, die Rede ist hier nicht von einer drohenden Alien-Invasion, gemeint sind clevere KI-Tools. ChatGPT, Bard, Dall-E und Konsorten versetzen die Welt in Erstaunen. Künstliche Intelligenz ist nicht nur Stammgast in den Schlagzeilen, sondern hat darüber hinaus auch längst ihren Platz in unserem Alltag eingenommen. Die Algorithmen scheinen allgegenwärtig zu sein und in vielen Bereichen unseres Lebens und Arbeitens kommen Veränderungen raschen Schrittes auf uns zu.
Welche dies sein werden, dazu haben wir nicht ChatGPT, sondern jemanden aus Fleisch und Blut befragt: Ulrich Bodenhofer. Der gebürtige Altheimer ist Professor für Künstliche Intelligenz am FH Oberösterreich Campus Hagenberg und designierter Leiter des neuen Bachelorstudiengangs "Artificial Intelligence Solutions".
Vernünftiger Umgang statt Verbot
"KI-Tools werden viele Bereiche vereinfachen und beschleunigen", sagt der 51-Jährige. "Vor allem Routinetätigkeiten werden rasch digitalisiert werden und auch in der Textproduktion wird künstliche Intelligenz immer mehr zur Anwendung kommen."
Kürzlich habe er gesehen, wie ein junger Mann im Zug auf dem Platz neben ihm seine Seminararbeit von ChatGPT verfassen ließ. "Es war keiner meiner Studenten", lacht Bodenhofer. Das Auftauchen von ChatGPT hat im Bildungsbereich sehr viele Fragen aufgeworfen. Vom Verbot bis hin zur Einbindung gehen die Meinungen. Die Prager Wirtschaftsuniversität schafft angesichts der smarten Chatbots nun sogar die Bachelorarbeiten ab.
Für ein Verbot der Tools ist Bodenhofer nicht. "Gescheiter wäre es, den Leuten beizubringen, die KI-Anwendungen vernünftig zu nutzen, Ergebnisse nicht ungeprüft zu übernehmen und ihnen zu erklären, worauf sie achten müssen." Schon früh hat den promovierten Mathematiker das Thema künstliche Intelligenz gepackt und nicht mehr losgelassen.
Bereits während seines Studiums hat sich Ulrich Bodenhofer mit KI-Themen beschäftigt und unter anderem mehrere Jahre lang an einem Projekt mit Sony DADC gearbeitet. "Dabei ging es um die Entwicklung eines Prüfsystems, das offensichtliche Fehler auf CD-Aufdrucken entdecken sollte. Ich fand es faszinierend, wie schwierig es eigentlich ist, am Computer etwas nachzubauen, das für den Menschen ganz simpel ist." Natürlich hat sich seither bei den Methoden einiges getan. "Was in den letzten zehn Jahren in dem Bereich passiert ist, ist unglaublich spannend", so der FH-Professor. "Der Begriff künstliche Intelligenz stammt aus den 50er Jahren und war bis in die 70er populär. Erst vor etwa zehn Jahren wurde er wieder aus der Mottenkiste geholt. Machine Learning machte rasante Fortschritte und dafür gab es keine passendere Bezeichnung als künstliche Intelligenz."
Ob ChatGPT ihn überrascht habe, wollen wir wissen. "Nicht was die Technologie angeht, sondern eher aufgrund der Niederschwelligkeit. Es hat sich vom Experten-Tool zu einem Tool für die breite Masse entwickelt und den KI-Hype der letzten zehn Jahre noch weiter befeuert."
Generalisten für KI-Projekte ausbilden
KI ist in den Studiengängen der Fakultät Hagenberg schon länger fixer Bestandteil, doch ab Herbst wird sogar ein eigener, KI-spezifischer Bachelorstudiengang namens "Artificial Intelligence Solutions" angeboten. Ulrich Bodenhofer ist der designierte Leiter. Was erwartet die Studierenden hier?
"Die Absolventinnen und Absolventen sollen ein tiefes Verständnis für KI entwickeln und selber funktionsfähige Lösungen schaffen können", erklärt der FH-Professor. "Neben KI und Machine Learning gehören auch technische sowie nicht technische Bereiche und Themen wie Software, Datenbanken, Cloud Computing, Projektmanagement, Ethik, Recht und Wirtschaft zum Studienplan." Ausgebildet werden sollen, so Bodenhofer, Generalistinnen und Generalisten, die KI-Projekte als Ganzes allein oder in einem kleinen Team umsetzen können.
Viele Wege öffnen sich
Nach Abschluss des Bachelorstudiengangs können die frisch -gebackenen "AI Engineers" verschiedenste Wege gehen. "Sie können in Firmen arbeiten, die KI-Lösungen verkaufen oder einsetzen, oder in Unternehmen, die gewisse KI-Komponenten in ihre Produkte integrieren, wie zum Beispiel im Maschinenbau, oder aber sie konzentrieren sich direkt auf Anwendungssysteme", erklärt Ulrich Bodenhofer.
Das Studium startet im kommenden Herbst, seit Ende letzten Jahres ist das Online-Bewerbungsportal offen und dort "wurlt" es bereits.
Eine Frage des Vertrauens
Natürlich muss man, wenn man von künstlicher Intelligenz spricht, auch die Vertrauensthematik ansprechen. Einerseits zeigen Studien, dass in der Gesellschaft eine große Skepsis gegenüber KI herrscht. Auf der anderen Seite gibt es teilweise die Tendenz, KI-Anwendungen zu überschätzen.
"Wichtig ist, den Leuten zu sagen, was sie wirklich erwarten können", findet Bodenhofer. "ChatGPT zum Beispiel funktioniert grandios, wenn man es richtig einsetzt. Aber mit exotischen Wissensfragen oder Fragen, die über den eingespeisten Zeitraum hinausgehen, kommt man nicht weit."
Genau das versucht der FH-Professor seinen Studentinnen und Studenten in seinen Vorträgen zu vermitteln. "Und dass man keine Angst haben muss. ChatGPT ist eine mathematische Funktion, es hat keinen eigenen Willen, keine Intention." Sicher, mit der KI wird auch reichlich Schabernack und Gaunerei getrieben. Erst kürzlich forderte eine Fake-Stimme von Joe Biden in automatisierten Anrufen zum Nichtwählen auf. KI flutet das Internet außerdem mit falschen Bildern. Wie ist es möglich, solche Fakes zu erkennen?
"Eine Hinweispflicht wäre denkbar", so Bodenhofer. "Wobei sich immer die Frage stellt, ob sich die Leute daran halten. Es wird auch an KI-Systemen gearbeitet, die darauf trainiert sind, Fakes zu erkennen. Das ist natürlich ein bisschen ein Katz-und-Maus-Spiel."
Wichtiger seien seiner Meinung nach Aufklärung und ein bewusster Umgang mit dem Thema. "Man sollte lernen, nicht alles ungefragt zu übernehmen, sondern Quellen kritisch zu prüfen. Sich fragen: Hat das Hand und Fuß, was ich da sehe oder lese?" Ein wenig mehr "Hand und Fuß" würde er sich auch in Bezug auf die nationale KI-Strategie der Bundesregierung wünschen. "Die Wichtigkeit des Themas wurde erkannt, es gibt viele gute Firmen, Einrichtungen und Förderungen." Und doch bräuchte es mehr Entschlossenheit, so der Professor.
Schallplatten statt Smart Home
Zum Abschluss des Gesprächs erfahren wir noch Interessantes vom "privaten" Ulrich Bodenhofer. Denn auch wenn er sich beruflich täglich mit KI beschäftigt, wird man bei ihm daheim nach digitalen Assistenten, Chatbots und Smart-Home-Gadgets vergeblich suchen: "Ich brauch das alles nicht!"
Nach Feierabend ist Bodenhofer ein Liebhaber des Analogen, Vinyl und Bücher sind seine Welt. "Da bin ich altmodisch. Ich hab gern etwas in der Hand, brauche kein Smart Home, sondern bevorzuge den guten alten Schalter, den man einfach umlegen kann."