"Verteilen kann man nur, was man verdient"
LENZING. Selten wird eine Hauptversammlung so emotional wie die des börsenotierten Faserherstellers Lenzing mit knapp 8000 Mitarbeitern weltweit. Das angemietete Veranstaltungszentrum war am Dienstag gesteckt voll, etliche Aktionäre waren zum ersten Mal da. "Weil jetzt brennt der Hut", sagte ein ehemaliger Unternehmer und Aktienbesitzer.
Der Konzern hatte bei 2,5 Milliarden Euro Umsatz 2023 knapp 600 Millionen Euro Verlust geschrieben und musste Sonderabschreibungen im Ausmaß von 465 Millionen Euro vornehmen. Umso größter das Unverständnis der Aktionäre über die hohen Bonuszahlungen.
"Verteilen kann man nur das, was man verdient", war ein Vorwurf des langjährigen Mitarbeiters und Aktionärs R. Laut Vergütungsbericht erhielt der fünfköpfige Vorstand 2023 5,2 Millionen Euro Jahresgage, davon 2,4 Millionen "erfolgsabhängig", als Motivation für besondere Anstrengungen, wie der Aufsichtsrat begründete.
Der erfolgsabhängige Anteil vom Vorsitzenden Stephan Sielaff lag noch höher, bei 58,5 Prozent. Während die Arbeiter "abbeißen mussten", so Mitarbeiter R. sichtlich bewegt, "kriegt der Vorstand Geld, das ein normaler Hackler in seinem Leben nicht verdient. Das passt nicht. Das tut man nicht, wenn man einen Anstand hat, das ist moralisch nicht gerechtfertigt!" Der Saal applaudierte ausgiebig.
Rücktritt gefordert
Ein anderer Aktionär, der lange Jahre für das Unternehmen gearbeitet hatte, setzte noch eines drauf. "Ich mache mir große Sorgen um meine Lenzing AG." Er kritisierte Managementfehler und "eine Fehlbesetzung nach der anderen". "Es drängt sich der Verdacht auf, dass Sie, Herr Sielaff, die persönliche Verantwortung tragen. Sie sollten zusammenpacken und heute noch zurücktreten!" Auch hier tosender Applaus, der den Angesprochenen jedoch nicht zu irritieren schien – er applaudierte mit. In den Antworten auf die Aktionärsfragen nahm er darauf keinerlei Bezug.
Auch der Vertreter der Kleinaktionäre Michael Knap (IVA) stellte die Vorstands- und Aufsichtsratsvergütungen infrage. "Wenn die Kennzahlen desaströs sind, Personal abgebaut wird und die Ziele für die Boni nicht erreicht sind, würde man annehmen, dass der Vorstand keine Boni bekommt und der Aufsichtsrat Abstriche machen muss." Andere Industrieunternehmen würden das so handhaben. Bei Lenzing sollte seiner Meinung nach auch das Management bei den Sparmaßnahmen vorangehen. Darauf meinte Sielaff, dass sich das Sparprogramm auch den "Overhead-Bereich" noch mal anschauen werde. Den Aktionär G. erzürnte die Steigerung der Vorstandsaläre "um 123 Prozent auf 5,2 Millionen Euro. Verzichten Sie auf einen Teil Ihrer Gagen – verhungern werden S’ ned!"
Dennoch erhielten sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat die Entlastung durch die Aktionäre, was wenig überraschte, da der Mehrheitsaktionär die Vergütung mittrug. Allerdings stimmte ein Fünftel der abgegebenen Stimmen, die knapp 74 Prozent des Grundkapitals repräsentierten, gegen die Vergütung.
Steigt Staatsholding ein?
Der Mehrheitsaktionär ist die B&C-Holding. Sie hält 52,25 Prozent und will künftig bei ihren Beteiligungen auch unter 50 Prozent gehen. Damit wäre bei Lenzing Platz für einen neuen Partner oder Investor. Die Staatsholding ÖBAG wäre ideal, war aus Aktionärskreisen zu hören, weil sie auf den Österreich-Standort ebenfalls großen Wert lege.
Mit 15. April wurde der Industriemanager Walter Bickel als "Chief Transformation Officer" geholt. Er soll offenbar den Karren aus dem Dreck ziehen. Ob das einer Entmachtung des Vorstandes gleichkomme, fragte Aktionär O. Sielaff: "Das ist keine Entmachtung. Sich eine zusätzliche Kraft zu holen, ist absolut normal."
Ein Aktionär erheiterte den Saal, als er sich über das T-Shirt aus Lenzing-Fasern im Give-away-Sackerl "trotz gefallenen Aktienkurses" freute. "Ich habe angeregt, dass man als Aktionär ein kleines Geschenk bekommt. Dem sind Sie nachgekommen – vielen Dank für das Unterhemd."
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