"Man kann nie genug tun, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern"
Frauen lassen sich oft viel zu lange Gewalt antun, weil sie fürchten, finanziell alleine und oft mit Kindern nicht über die Runden zu kommen.
Es ist ein trauriger Rekord, den Österreich innehat: Bei der Anzahl der Frauenmorde (Femizide) ist das Land im Europavergleich Spitzenreiter. Das war nur eine von vielen Statistiken, die beim OÖN-Frauentag bei der Podiumsdiskussion über Gewalt gegen Frauen genannt wurde.
Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hielt in einer Videobotschaft mit ihren Gefühlen nicht hinterm Berg: "2021 konnten wir 31 Femizide nicht verhindern, das macht mich traurig und wütend." Es seien viele kleine Schrauben, an denen wir als Gesellschaft drehen müssten, um Gewalt an Frauen zu verhindern. Eine davon sei die verbesserte Beweis- sicherung vor Gericht. Denn viel zu oft werden Anzeigen wieder zurückgezogen oder Beweise werden nicht ausreichend dokumentiert. Die Regierung hat zuletzt mehrere Initiativen und Verordnungen auf den Weg gebracht. So wurde ein Gewaltschutzpaket in Höhe von 24 Millionen Euro verabschiedet, Fallkonferenzen finden zukünftig unter Einbeziehung der Jusitz statt, und angehende Richter verbringen einen Teil ihrer Ausbildung bei Gewaltschutzorganisationen.
Gewalt gegen Frauen habe zwei Komponenten, erklärte die Sozialwissenschaftlerin Anna Maria Dieplinger: "Es gibt psychische und körperliche Gewalt, und sie hat immer den Aspekt der Machtausübung von Seiten der Männer." Gewalt sei zu einem großen Teil männlich, denn 91 Prozent der Gewalttäter sind Männer.
"Man kann nie genug tun, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern", sagte Frauenlandesrätin Christine Haberlander (ÖVP). Im Grunde müsse man verhindern, dass überhaupt Täter entstehen. Schon im Kindergarten könne man Prävention betreiben. Werdende Eltern könnten Kurse besuchen, wie Emotionen besser reguliert werden. Zum Standardprogramm der Gewaltprävention gehöre die Frauenberatung, Krankenhauspersonal zu schulen und Frauenhäuser zu betreiben.
Hier hakte SP-Bundesfrauenvorsitzende Eva Maria Holzleitner ein. "Die Frauenberatungsstellen in Österreich haben kaum Geld, um Beratungen abzuwickeln. Es bräuchte eine satte Basisfinanzierung, nicht nur eine auf Projektbasis." Österreich habe es im Gegensatz zu anderen Staaten verabsäumt, beim EU-Wiederaufbaufonds für Gewaltschutz eine Finanzierung zu beantragen, kritisierte die rote Politikerin.
Ein Thema in allen Schichten
Gewalt in der Familie gebe es in allen Schichten, sagte die Linzer Frauen-Stadträtin Eva Schobesberger (Grüne). Man müsse den Mut haben, in solchen Fällen als Nachbarin zu handeln, die Polizei zu holen oder "an der Tür zu läuten und nach Zucker zu fragen", um die Situation zu neutralisieren.
Viel zu häufig schaut das Umfeld, die Nachbarn, die Familie weg, wenn gegen Frauen die Hand erhoben wird. "Nicht hinter die Mauern und unter die Bettdecke zu schauen, hat unsere Gesellschaft leider verinnerlicht", gab auch FP-Frauensprecherin Rosa Ecker zu bedenken. Frauen blieben oft zu lange in gewaltsamen Beziehungen, "weil sie nicht gut auf eigenen finanziellen Füßen stehen" und Angst hätten, dass sie allein die Kinder nicht versorgen und "den Kühlschrank nicht füllen können", so Ecker. Der Schritt aus der Beziehung sei für die Frauen immer der allerletzte, wenn es gar nicht mehr geht.
Das bestätigt Sozialwissenschafterin Dieplinger: "Die Abhängigkeit und die Kinder halten Frauen davon ab, zu gehen. Am Land kommt das übliche Gerede dazu, wenn man sich Hilfe holt oder in ein Frauenhaus geht. Da kennt ja jeder jeden." Insofern sind auch Frauenhäuser auf dem Land schwierig.
In Oberösterreich gibt es derzeit fünf Frauenhäuser, in denen Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, Schutz bekommen und leben können. Für drei weitere gibt es für die nächsten Jahre eine Zusage, es werden gerade die Standorte gesucht, sagte Haberlander. "Wir hätten gerne eines im Mühlviertel und im Salzkammergut", so die Landesrätin, doch das sei gar nicht so einfach, weil auf dem Land die Anonymität und der Schutz der Frauen und der Mitarbeiterinnen schwieriger zu gewährleisten sind.
Finanzielle Unabhängigkeit
Auch Holzleitner unterstrich die Bedeutung der ökonomischen Unabhängigkeit der Frauen, um der Gewalt der Männer zu entkommen. "Die ökonomische Selbstbestimmtheit ist der Schlüssel dafür, dass eine Frau in jedem Lebensalter sagen kann: Ich gehe. Jede Frau in Österreich sollte in Krisenzeiten wissen: "Sie ist nicht alleine", es gibt ein Netz an Beratungs- und Hilfsstellen. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sieht durchaus die Politik in der Verantwortung, um zur Gewaltprävention beizutragen. " Die Politik kann hier viel machen", von der Gleichstellungspolitik bis hin zur Ermutigung von Krankenhauspersonal, dass sich Frauen mit Verletzungen, die eine eindeutige Sprache sprechen, wehren.
"Gewalt kommt ja nicht aus heiterem Himmel", oft komme es zwar zu Anzeigen bei der Polizei, diese würden später aber immer wieder zurückgezogen, aus Angst vor weiteren und noch schlimmeren Attacken oder vor dem finanziellen Durchkommen.
Ein heikles und mittlerweile sehr verbreitetes Thema ist der Hass im Netz, mit dem insbesondere auch Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, tagtäglich konfrontiert sind. Auch im Internet sei verbale Gewalt gegen Frauen "eine sehr systematisierte Art, Frauen mundtot zu machen", sagte Meinl-Reisinger. Außerdem beginne jede körperliche Gewalt mit verbaler Gewalt, dessen müsse man sich bewusst sein.
Wieso kommt es zu diesen Hass-Postings? "Wir Frauen stehen generell einmal nicht unter dem Verdacht der Kompetenzvermutung", so Meinl-Reisinger. Das Aussehen, das Klischee der schlechten Mutter sind typische Angriffsflächen. Dazu kommt noch ein weitere Aspekt: "Die Postings sind unfassbar sexualisiert."
Sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Parlamentsklub seien untergriffigen und beleidigenden Äußerungen in einem Maß ausgesetzt, dass sie sagt: "Es ist teilweise wirklich nicht mehr auszuhalten. Für die psychische Gesundheit ist das – trotz einer dicken Haut, die man als Politikerin haben muss – zu viel."
Einiges habe sie angezeigt, nur zwei Hassnachrichten wurden verfolgt. "Ich bräuchte einen eigenen Mitarbeiter für Privatklagen", beschreibt sie die Dimension dieser verbalen Gewalt.
Es sei sogar mittlerweile so, dass viele Frauen etwa zu Postings der Politikerin keine Kommentare mehr posten, weil sich der Shitstorm und der Hass dann auch gegen sie richte: "Das geht nicht mehr, und das ist ein systematisches Mundtot-Machen von Frauen."
Das zustimmende Nicken der anderen Podiumsteilnehmerinnen zeigte, dass auch ihnen dieses Thema nur allzu bekannt ist.
Abschließend richtete Expertin Dieplinger einen Wunsch an die Politikerinnen, aber vor allem auch an ihre männlichen Kollegen: "Wir müssen Frauen endlich wirklich ernst nehmen."
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