Chat mit OÖN-Chefredakteur: "Er kann nur überraschen"
Kann Reinhold Mitterlehner die ÖVP führen? Wird er der Forderung nach Vermögenssteuern nachgeben? Wer wird Finanzminister? Chefredakteur Gerald Mandlbauer beantwortete im OÖN-Chat Fragen der Leser.
Gast3884: Kann Mitterlehner Ihrer Einschätzung nach die Partei führen und ihr ein neues Gesicht geben?
Gerald Mandlbauer: Führen kann er sie meiner Meinung nach sicher - und zwar auch besser als Spindelegger. Ob er ihr ein neues Gesicht geben kann, daran zweifle ich. Nicht, weil er es nicht könnte, aber weil ihm der starke Rückhalt der anderen Bünde (Bauern und vor allem jener des ÖAAB) fehlt. Die Einigkeit wird schnell vorbei sein, sobald es ans Eingemachte gehen sollte, etwa wenn er die bisherige Position der Volkspartei zur Bildung in Frage stellt. Wie geht er mit dem Widerstand der Beamtengewerkschaft, der Lehrergewerkschaft um? Ein neues Gesicht kann er der Volkspartei insofern schon geben, als er ein neues Gesicht ist und er als Person vor allem offener ist als sein Vorgänger.
Gast8998: Wie lang wird Mitterlehner Parteichef bleiben?
Gerald Mandlbauer: Ich bin kein Prophet. Die Lebensspanne von ÖVP-Obleuten ist zuletzt ja immer geringer geworden. Er kann uns also nur positiv überraschen, ein Scheitern wäre keine Überraschung. Das ist ja zugleich seine große Chance, dass er die Partei auf einem vermeintlichen Tiefpunkt übernimmt. Die Frage wird sein: Wie verhalten sich die eigentlichen Granden dieser Partei, wenn er gegen ihre Interessen verstößt (verstoßen muss). Niemand stellt ja die Frage: Was braucht das Land eigentlich?
Gast1579: Wer wird Ihrer Meinung nach Finanzminister?
Gerald Mandlbauer: Keine Ahnung. Es ist auszuschließen, dass der Oberösterreicher einen Oberösterreicher nominiert. Er wird nicht den Fehler Spindeleggers wiederholen, sein engstes Umfeld aus Leuten zu bilden, die aus seiner engeren Heimat kommen. Die Verniederösterreicherung wird also meiner Meinung nach nicht durch eine Veroberösterreicherung ersetzt. Ansonsten hätte ich es durchaus für möglich gehalten, dass Michael Strugl oder sogar Christoph Leitl noch einmal zum Zuge gekommen wären. Ich hielte die Variante für sehr gut, einen politisch nicht zuordenbaren Fachmann zu bestellen. Denn was unser Land jetzt zuallererst braucht, sind stabile und nachhaltig sanierte Finanzen. Davon sind wir weit entfernt.
Gast7382: Mitterlehner wird‘s auch nicht schaffen, die Talfahrt der ÖVP zu stoppen. Oder glauben Sie ernsthaft, dass es je einen Kanzler Reinhold Mitterlehner geben wird?
Gerald Mandlbauer: Ich kann es mir momentan nicht vorstellen, dass die Volkspartei in Reichweite der Nummer-1-Position kommt. Aber so schnelllebig, wie die Politik (und im übrigen auch unser Mediengeschäft) geworden ist, können sich die Dinge schnell drehen. Die Volkspartei hat das Riesenproblem, dass ihr die große inhaltliche Klammer fehlt, dass die Bünde (und ihre Interessen) auseinander driften und dass es keine dominante Person gibt, die das kitten könnte. Schüssel war der Letzte, dem das gelungen ist, wie immer man zu ihm persönlich gestanden ist.
Gast6022: Oberösterreichs Landeshauptmann Pühringer fühlt sich „nicht schuldig“ an Spindeleggers Rücktritt. Wie sehen Sie das?
Gerald Mandlbauer: Pühringer hat sicher seinen Teil dazu beigetragen. Er war einer von mehreren "Länderfürsten", die mit der Art und Weise, wie Spindelegger sein Amt verstanden und betrieben hat, nicht einverstanden gewesen. Spindelegger hat sich versteckt, war zu wenig dynamisch, zugleich hat er in der Frage der Steuerreform (oder besser, ob und wie eine solche zu finanzieren ist) Hausverstand gezeigt und Konsequenz. Da spielt Pühringer auf einer anderen Klaviatur - das hat schon mit dem Wahlkampf in Oberösterreich und dem Warmlaufen dafür zu tun. Darauf ist Oberösterreichs Landeshauptmann ausschließlich fokussiert. Das ist klar zu spüren. Das eigene Hemd ist mir immer näher.
Gast4736: Ich studiere Kommunikationswissenschaft und interessiere mich deshalb für redaktionelle Abläufe. Herrscht bei so einem Ereignis Ausnahmezustand in einer Redaktion? Wie ist der gestrige Tag verlaufen?
Gerald Mandlbauer: Das ist so. Es ist fordernd, unsere Politik ist praktisch im Dauereinsatz, wir tauschen uns permanent aus und wälzen Ideen. Gestern ist bis weit in die Nacht hinein gearbeitet worden. Heute hat die erste Abstimmung schon um acht Uhr früh begonnen. Ein Redakteur ist in Helfenberg (Mitterlehners Heimatort), in Wien wird an einem Interview mit dem neuen Vorsitzenden gearbeitet, wir planen für morgen vier Seiten ein (auch das ist atypisch viel), Christoph Kotanko stellt einen gesprochenen Kommentar online (als Video) - sollte bald erfolgen und und ..... Fad wird allen nicht.
Gast3884: Sind die Neos schon jetzt die bessere VP?
Gerald Mandlbauer: Sie haben für vielen den Reiz des Neuen, sie können sich viel klarer auf die Kernthemen Wirtschaft und Bildung konzentrieren, sie können frecher sein, sind jünger, anders. Damit knabbern sie am Wählerpotential der Volkspartei. Zugleich beginnen jetzt die Mühen der Ebene. Viele Funktionäre (oder besser Freiwillige) der Neos sind extrem motiviert und engagiert - zugleich aber politisch auch noch ordentlich naiv. Viele unterschätzen auch, mit welch massivem Einsatz im kommenden Jahr der Landtagswahlkampf in Oberösterreich gerade von der Volkspartei betrieben wird. Die sind da organisatorisch perfekt. Da kommt einiges auf die Neos zu. Sie werden auch nicht immer zur der Antwort Zuflucht nehmen können: Da müssen wir uns erst einarbeiten - einlesen. Aber grundsätzlich sind sie eine wichtige Bereicherung. Nur so kann der Stillstand gebrochen werden.
Gast8919: Warum regieren jetzt nicht gleich die Regierungszwillinge Mitterlehner-Hundstorfer?
Gerald Mandlbauer: Vielleicht werden Sie es tun. Führungsstärke im Sinne von Leadership ist ja bisher vom Duo Faymann/Spindelegger auch nicht ausgegangen. Es kann also nur besser werden. Ob diese großkoalitionäre Achse allerdings etwas Revolutionäres zustande bringt, daran zweifle ich. Aber vielleicht erwarten wir alle zu viel.
Gast2432: Kann die VP aus Ihrer Sicht im urbanen Bereich wieder Boden gut machen? Und wenn ja, wie?
Gerald Mandlbauer: Mit ihrem bisherigen Inhalten und ihren Personen schwer. Im städtischen Bereich sind die Neos einfach peppiger mit ihrem Erscheinungsbild, ihrer Bereitschaft, andere Positionen einzunehmen. Das ist ja die Crux der Volkspartei. Sie dürfte eigentlich ihre Stammklientel nicht vergrätzen - die muss sie unbedingt halten. Zugleich soll sie sich inhaltlich verändern. Ich red mich leicht, aber mein Tipp: Mehr Mut bei einer inhaltlichen Veränderung - die wirklich treue Stammklientel, die bleibt der Volkspartei ja ohnedies.
Gast8699: Hat die ewige Benachteiligung Oberösterreichs mit einem Oberösterreicher als Vizekanzler jetzt endlich ein Ende?
Gerald Mandlbauer: Ich halte diese Benachteiligung für extrem krass, weil die Oberösterreicher (vor allem die Politik) im Umgang mit Wien viel zu brav sind. Die aufsässigen Steirer holen mit ihrer Art viel mehr heraus. Es kann also nicht schaden, wenn ein Oberösterreicher in Wien Vizekanzler sein wird. Andererseits kann es genau den umgekehrten Effekt geben. Damit er nur ja den Vorwurf nicht riskieren muss, Oberösterreich zu bedienen, könnte er genauso gut zurückhaltend sein. Wie immer: Am ungeniertesten spielt dieses Spiel die Bundeshauptstadt Wien - und wir "Provinzler" sind die Nettozahler dieser Republik. Das ist evident.
Gast8998: Wird Mitterlehner den Forderungen nach Vermögenssteuern auch aus der eigenen Partei nachgeben?
Gerald Mandlbauer: Er wird nicht nachgeben, es wird eine Mogelpackung kommen mit Anpassung, die in Richtung Vermögenssteuer geht (vielleicht bei der Grundsteuer). Der Hund steckt bei allen diesen Überlegungen jedoch im Detail - und für solche Einzelheiten hat im politischen Geschäft heute keiner mehr die Zeit. Vermögensssteuer allein bringt nicht das Geld für eine umfassende Entlastung. Also muss bei den Staatsfinanzen der Hebel angesetzt werden - es muss zu einer Umschichtung kommen. Irgendwo müssen Ausgaben gekürzt werden. und dann wird es schizophren. Dann sind ausgerechnet die Gewerkschaften, die jetzt eine Reform mit Unterschriften fordern, die ersten, die gegen solche Kürzungen Sturm laufen. Irgendwann müssen sich auch die (wie alle in der Regierung) entscheiden, wofür sie sind.
Gast8699: Sind Sie dafür, dass die rot-schwarze Koalition weitermacht? Oder sollte es frühere Wahlen geben?
Gerald Mandlbauer: Ich sehe keine andere Alternative. Aber weitermachen kann nicht heißen: Weitermachen wie bisher. Da muss sich Gravierendes ändern, nicht nur im öffentlichen Auftritt (weniger Streit). Die müssen auch programmatisch mehr weiterbringen. Die Frage der Fairness in der Besteuerung spielt eine Rolle. Die Frage der Nachhaltigkeit in der Politik. Wer macht endlich Politik im Sinne der jungen Bürger? Um diese Fragen schwindeln sich doch alle herum - und je älter die Entscheidungsträger sind, umso leichter tun sie sich bei diesem Herumschwindeln, weil sie ja die Verantwortung nicht zu tragen haben. Spindelegger hat zumindest versucht, eine solche Langfristkomponente zu berücksichtigen (er hat zugleich viele andere Fehler gemacht). Was ich den Landesgranden der Volkspartei vorwerfe: Sie zeigen dieses Langfristdenken nicht - die denken alle nur bis zu nächsten Wahl, alleine in ihren Reden geht es darüber hinaus. Das macht mir als Journalist echtes Kopfzerbrechen.
Gerald Mandlbauer: Danke für die vielen interessanten Fragen. Es ist auch für uns ein Experiment gewesen, diesen Chat praktisch aus der Situation heraus zu starten und er ist großartig angenommen worden. Das macht Mut für weitere solcher Debatten.
die övp beherrschen, wird es keine gravierenden änderungen geben. und solange neugebauer am ruder ist, erst gar nicht. bei der övp wird sich nicht viel ändern - doch eins schon: die wähler werden immer weniger.