"Liebesbriefe aus Nizza": Ihr "explodierendes Venusdreieck" versetzt ihn in den Kriegszustand
In der köstlichen Kinokomödie "Liebesbriefe aus Nizza" erschüttern Zeugnisse einer 40 Jahre alten Affäre die Ehe eines Ex-Generals.
Kriege, Militär, drei Kinder, vier Enkelkinder: Sein Leben hat François Marsault (André Dussollier) stark gemacht. Man würde meinen, nichts könnte den Ex-General (75) erschüttern. Als ihm im Kinofilm "Liebesbriefe aus Nizza" aber alte Briefe an Gattin Annie (Sabine Azéma) aus ihrer früheren Zeit – richtig geraten – in Nizza in die Hände fallen, schlagen deren Worte ein wie eine Bombe. Annies "explodierendes Venusdreieck" und "weiß glühenden Brüste" belegen eine außereheliche Affäre – eine 40 Jahre alte.
Für die Mittsiebzigerin ist sie "völlig unbedeutend" und "längst verjährt". Ihr stolzer, penibel konservativer Gatte reagiert jedoch mit dem, was ihm Sicherheit bietet: Kampf. Auf die Strategie "Einschüchterung" – er droht mit Scheidung – folgt Angriff als beste Verteidigung. Er will die 300 km nach Nizza fahren, um Annies Ex-Erotikpartner aufzuspüren: Boris, einst für beide "ein Freund". So schnell kann François gar nicht schauen, sitzt Annie mit ihm im Auto.
- Der Trailer zum Film:
Regisseur Ivan Calbérac, der auch das Drehbuch schrieb, entwickelt eine delikat-lustige Komödie voll wortgewaltiger Spitzen, in der sich das Paar beileibe nichts schenkt, dem Publikum dafür umso mehr. Dussollier (78) und Azéma (74) sind Veteranen des französischen Kinos, deren Ära im Autorenfilm begann. Unter Alain Resnais, Azémas zweitem Mann, standen sie in "Mélo" (1986) sogar bereits einmal als von einer Affäre geprüftes Paar vor der Kamera.
Man spürt die Vertrautheit und erkennt ein über Jahrzehnte erprobtes Können im Timing. Dussollier ist ein ideal zackiger und angriffiger François, dessen Härte und Aufbrausen Azéma mit Nonchalance noch mehr Witz verleiht.
Er ist der Sturm (im Wasserglas), sie die Frau, die weiß, ihn wie ein laues Lüfterl zu nehmen –bis er den Bogen überspannt. Nicht mit Boris, sondern bei ihren in Nizza lebenden Kindern: Capucine versteckt ihre Homosexualität, weil ihr Vater "Putin" ist. Sohn Adriene, ein Puppentheaterspieler, wird François immer fremder. Hier nimmt der Film eine rührende Wendung, mit der er sich auch aus dem Fahrwasser des Kinophänomens "Monsieur Claude" befreit. Es geht nicht mehr nur (wieder) um einen sturen "alten weißen Mann", der im
Heute ankommen muss, sondern um Tieferliegendes als allein Annie zurückzugewinnen. Statt zwischen blanker Tragik und überbordendem Modernismus zu wählen, entschied sich Calbérac für einen anderen Weg, den des Verständnisses. Er nimmt seine Figuren so zutiefst ernst – und damit sein Publikum.
- "Liebesbriefe aus Nizza": F 2024, 94 Min.
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