Morden ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel der Macht
Linzer Kammerspiele: Heiner Müllers Shakespeare-Reduktion "Macbeth" in der Regie von Stephan Suschke wird im Schatten des Ukraine-Kriegs zum Stück der Stunde.
Von Heiner Müller (1929-1995) ist aus dem Jahr 1972 der Satz überliefert: "Die Herrschenden bemerken nie, worauf sie stehen." Das Zitat stammt aus jener Brandenburger Theatersaison, in der die Uraufführung seiner Shakespeare-Reduktion "Macbeth" stattfand. Und anders als der milde britische Theatergott lässt Müller keine Spur von Reue beim Königsmörder/Mörderkönig Macbeth dämmern. Er setzt bloß das Schlachten als Prinzip einer Gesellschaft fort, die ihre Beschwörungen der Menschlichkeit wie eine Monstranz vor sich herträgt. So lautet dann auch Müllers Regieanweisung: "Duncan, auf Leichen sitzend, die zu einem Thron geschichtet sind." Mit diesem Bild beginnt Landestheater-Schauspielchef Stephan Suschke (einst Müllers Assistent) seine Inszenierung in den Linzer Kammerspielen. Die einnehmende, dezidiert um den Text tanzende Premiere fand am Samstag statt.
Frei von Gewissensqualen
Die Blutbäder prophezeienden Hexen, die Shakespeare für König Jakob I. wegen dessen Vorliebe für zauberhafte Fuchteln einbaute, verkleinert Müller zu anarchischen Horror-Kindern. Macbeths Königs-Vorgänger Duncan (Lutz Zeidler) sitzt mit Malcolm (Christian Taubenheim) auf dem vermeintlichen Hügel einer Altkleidersammlung (Bühne: Momme Röhrbein), was sich als Leichenberg offenbart. Auch diese beiden verhandeln keine Gewissensqualen, sondern jubeln ob der Schlachtfeld-Erfolge von Macbeth und Banquo (Alexander Julian Meile). Dass Duncan seinerseits vom eigenen Schlächter Macbeth hingemetzelt wird, ist bloß die Konsequenz eines Machtzyklus, dem gegen jede Form von Empathie eine Hornhaut gewachsen ist.
In Müllers Universum, das in der DDR vom Stalinismus geschunden wurde, kann Macbeth nicht anders, als "im blutigen Geschichtslauf" weiterzuwurschteln. Alexander Hetterle stellt textklar und in jeder Sekunde glaubhaft die Psychologie des nur beim ersten Mord zaghaften Macbeth auf die düstere Bühne.
Als seine Lady-Frau brilliert Theresa Palfi: Ihrer Figur sind alle Skrupel fremd, sie spornt den Gatten dämonisch beschwörend an, die Klingen kreisen zu lassen, bis sie selbst gemeuchelt wird, was Macbeth auch nicht weiter berührt.
Aus der Adeligen-Revolte zimmert Müller einen Bauernaufstand, das Böse ist eben keine Grundierung der feinen Gesellschaft. Es glotzt aus allen Gruppen heraus.
Der bravouröse Klaus Müller-Beck und Helmuth Häusler sind als Lenox und Rosse kongenial verschlagene Schergen des Blutfürsten, deren Loyalität doch nur dem eigenen Vorteil gilt. Der Schauspielstudio-Studierende Nils Thomas knallt einen grandios irren Macbeth-Widersacher Macduff unter die Profi-Kollegen und empfiehlt sich als Ensemble-Verstärkung. Sein Studienkollege Kaspar Simonischek hat sprachlich Luft nach oben, ist aber wie geschaffen für Macbeths letzten Verbündeten Seyton sowie den Pförtner. Allerdings unterläuft Suschke ein zarter Regiefehler: Zunächst ist das rechte Pförtner-Bein geschient, aber als Macduff und Lenox dieses Körperteil mit der Kettensäge abgetrennt haben, blutet ein linkes geschientes Bein auf der Bühne.
Angela Waidmann balanciert Lady Macduff, Hofdame und Vergewaltigungsopfer blendend über die Rampe. Am Ende erhebt sich die Natur der Grausamkeit auch über Macbeth und verschlingt ihn wie viele vor ihm – und erst recht nach ihm. Im Schatten von Putins Mordlust in der Ukraine ist Müllers "Macbeth" das Stück der Stunde.
Fazit: Zweieinhalb konzentrierte Schauspiel-Stunden mit blendend gearbeitetem Text. Die Regie verlässt sich zu Recht auf die Kraft des Ensembles.
- "Macbeth", Tragödie von H. Müller nach Shakespeare, Linzer Kammerspiele, Premiere: 28. 5., Regie: Stephan Suschke, Termine bis 5. 7.
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