Musikalische Wiederentdeckung
Hugo Kauder: In der New Yorker Carnegie Hall kommt seine 1. Sinfonie zur US-Erstaufführung, die Mühlviertler Musikwissenschafterin und Kauder-Biografin Karin Wagner ist dazu eingeladen.
"1924 wurde Hugo Kauders 1. Sinfonie in Wien uraufgeführt – seitdem ist sie nie wieder gespielt worden", sagt Karin Wagner. Die in Klagenfurt geborene und im Oberen Mühlviertel aufgewachsene Musikwissenschafterin sowie Pianistin ist die weltweit führende Expertin zu Leben und Werk dieses vergessenen jüdischen Komponisten, der wie viele seiner Kollegen von Nationalsozialisten aus Österreich flüchtete. Von ihr stammt die einzige Biografie über Hugo Kauder (2018, Böhlau Verlag). Morgen, Donnerstag, wird sie dabei sein, wenn dessen sinfonisches Auftaktwerk zum insgesamt zweiten Mal in der New Yorker Carnegie Hall musiziert wird ("The Orchestra Now" unter Dirigent Leon Botstein) – eingeladen von der amerikanischen "Hugo Kauder Society".
Seit 2001 unterrichtet Wagner an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, OÖN-Leser kennen die Fachfrau seit Jahren als fundierte Musikkritikerin. Zu Kauder stieß Wagner über ihre Arbeit zu dem jüdischen Komponisten Erich Zeisl, dessen Biografin sie ebenfalls ist. Zeisl war Kauder-Schüler, im Literaturarchiv Marbach bei Stuttgart lüftete Wagner den Briefwechsel Kauders mit dem Philosophen Rudolf Pannwitz (1881–1969) – "da wusste ich, das hat vor mir noch nie jemand angeschaut, darüber wollte ich schreiben", sagt Wagner. Der Geiger und Bratschist Kauder war nicht nur Komponist (1928 Musikpreis der Stadt Wien), sondern auch bedeutender Musiktheoretiker samt eigener Skalentheorie, die 1932 in Wien veröffentlicht wurde. Unter anderem zusammen mit Béla Bartók, Paul Hindemith und Anton Webern war er zudem Salzburger Gründungsmitglied der nach wie vor bestehenden Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. 1938 floh Kauder über die Niederlande und England in die USA.
Im Privathaus von Zeisls Tochter Barbara, die mit Arnold Schönbergs Sohn Ronny verheiratet ist und in Los Angeles lebt, stöberte sich Wagner durch eine Unzahl von Unterlagen.
Bis zuletzt hätte demnach Kauder auf die geistigen Kräfte in Österreich vertraut, um den Nationalsozialisten Einhalt zu gebieten. Vergeblich – die Novemberpogrome 1938 erlebte er noch in Wien mit, danach flüchtete er.
Wagners Expertise wird auch am 5. November (20 Uhr) im Kulturhaus im Schöffl in Engerwitzdorf zu erleben sein. Unter dem Titel "Briefe aus dem Exil" liest sie Briefe von Kauder und Zeisl – musikalisch begleitet vom Trio Shalom (Harald Hattinger, Kurt Edlmayr, Günter Wagner). Karten/Infos unter: www.imschoeffl.at.
Karin Wagner: "Hugo Kauder (1888–1972), Komponist – Musikphilosoph – Theoretiker", Biographie, Böhlau Verlag, 224 Seiten, 36 Euro.