Regisseur Jean-Luc Godard 91-jährig verstorben
PARIS. Die französisch-schweizerische Regielegende Jean-Luc Godard ist tot.
Wie ein Sprecher der Familie einen Bericht der französischen Zeitung "Liberation" bestätigte, nahm der Filmemacher Beihilfe zum Suizid in Anspruch. Godard gehörte zu den bedeutendsten Regisseuren Frankreichs und hat weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus das Kino beeinflusst. Dabei machte er sich allen voran durch experimentelle Erzählstrukturen und Gestaltungsformen einen Namen. Er wurde 91 Jahre alt.
"Herr Godard hat die in der Schweiz legale Hilfe zu einem freiwilligen Abschied in Anspruch genommen", teilte Patrick Jeanneret, ein Berater der Familie, am Dienstag mit. Grund dafür seien seine zahlreichen Krankheiten gewesen.
Geboren wurde Godard am 3. Dezember 1930 in Paris. Zunächst wuchs er in der Schweiz auf, wo er in Nyon im Kanton Waadt die Schule besuchte. Nach der Scheidung seiner Eltern kam Godard zurück nach Paris. In den 1950er-Jahren schrieb er als Filmkritiker für die "Cahiers du cinéma", der Zeitschrift des großen Vordenkers des französischen Autorenkinos André Bazin.
Mit seinen Filmen sollte Godard schließlich Teil der Nouvelle Vague werden, zu der etwa auch François Truffaut oder Eric Rohmer gehörten. In ihren filmtheoretischen Schriften forderten sie eine Erneuerung des französischen Kinos, das in ihren Augen zu konventionell geworden war. Sie entwickelten eine eigene Erzählstruktur und machten ihre individuelle Weltansicht zu ihrem Markenzeichen.
Im Laufe seiner Karriere hat Godard über 60 Filme gedreht. Zu den bekanntesten zählen "Die Verachtung", "Eine verheiratete Frau" und "Außer Atem", mit dem er sein Langfilmdebüt feierte. Als er 1959 das Kriminaldrama mit Jean-Paul Belmondo drehte, war er der Öffentlichkeit unbekannt und völlig abgebrannt. Der Film, zu dem Truffaut das Drehbuch schrieb, wurde ein Meisterwerk, und der in Paris geborene Sohn eines Schweizer Arztes galt über Nacht als Genie.
Statt wie üblich im Studio zu drehen, hielt Godard die Cafés und Straßen mit seiner Handkamera fest, vor der sich Jean-Paul Belmondo frei bewegte. Seine Schnitte folgten weder Regeln noch einem Rhythmus. Mit "Außer Atem" hat Godard 1960 die Filmsprache revolutioniert. Seitdem experimentierte er unermüdlich mit Form, Inhalt und den Sehgewohnheiten der Zuschauer. Er brauche seine Freiheit. Und die bekomme er, indem er eine gewisse Verwirrung stifte und mit den herkömmlichen Regeln spiele, lautete sein Credo.
Nach 1967 sprach Godard auch nicht mehr von Filmen, sondern von Bildern und Tönen. In seinem Spätwerk wurde der Regisseur noch radikaler und verzichtete in seinen collageartigen Arbeiten teils ganz auf handelnde Personen, wie etwa in "Bildbuch", für das er 2018 in Cannes mit einer Sonder-Palme ausgezeichnet wurde. Zu seinen vielen Auszeichnungen gehört auch ein Ehren-Oscar, der ihm 2010 für sein Lebenswerk verliehen wurde. Eine offizielle Trauerfeier für den Regisseur soll es nicht geben, wie es am Dienstag in einer Stellungnahme hieß.
Die Europäische Filmakademie hat den verstorbenen Regisseur am Dienstag gewürdigt. Mit ihm verliere das europäische Kino einen seiner unkonventionellsten Vertreter, teilte Direktor Matthijs Wouter Knol mit. Als europäischer Autorenfilmer habe er auch die Konventionen hinterfragt, die vom amerikanischen Studiosystem festgelegt worden seien. "Godards unglaubliches Werk ist schon lange Teil des europäischen Filmerbes und wird nicht nur für sehr lange Zeit eine Inspiration bleiben - sondern auch eine Erinnerung daran, dass es notwendig ist, die eigene Stimme immer wieder neu zu erfinden und für die Qualität und Sichtbarkeit des europäischen Kinos zu kämpfen."