"Es gibt immer einen Weg"
Der Verein "Bleib bei uns" hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen vor einem Suizid zu bewahren. In einer neuen Kampagne erzählen Betroffene ihre Geschichte.
Zweieinhalb Jahre ist es jetzt her, dass sich die damals 28-jährige Christina, Marketingleiterin der Linzer Firma y-doc, das Leben nahm. Kollegen und Chefs waren schockiert und erschüttert und gründeten kurz darauf den "Verein für Lebensmut – Bleib bei uns". Seine Aufgabe: suizidgefährdeten Menschen Wege aufzuzeigen, sich bewusst für das Leben zu entscheiden, erklärt Obmann Christoph Andlinger.
Nun wurde eine neue Kampagne gestartet, in der drei Betroffene ihre persönlichen Geschichten erzählen. "Den Zeitpunkt jetzt haben wir bewusst gewählt, weil der Frühling ja für Aufbruch und Neuanfang steht", sagt Michael Wallner, Marketing Manager der Brau Union. Er hat die Kampagne mitentwickelt – und weiß aus Erfahrung genau, wie schwer ein Selbstmord in der Familie auf der Seele lastet. Vor elf Jahren beging seine Schwester Suizid, vor kurzem auch ein Cousin von ihm.
"So etwas reißt ein Loch, das für immer bleibt und das sich mit nichts kompensieren lässt", erzählt er im Gespräch mit den OÖN. "Man hat das Gefühl, dass man nie wieder Freude empfinden kann oder darf."
Auch Schuldgefühle plagen den 38-Jährigen bis heute. "Freilich stellt man sich die Frage, was wir hätten tun können. Oder besser: was wir noch mehr hätten tun sollen", sagt der Leondinger. Denn die Familie habe ohnehin schon viel gemacht. "Dass meine Schwester psychische Probleme hatte, haben wird gewusst. Sie war sogar in Behandlung. Doch es hat alles nichts genützt", sagt Wallner, der selbst Vater einer neunjährigen Tochter ist.
Auch er selbst habe sich nach dem Vorfall Unterstützung geholt. "Dafür schäme ich mich nicht. Wenn man Kopfweh hat, geht man ja auch zum Arzt, warum nicht auch, wenn es der Seele nicht gut geht?"
Dennoch sei es ein langer Prozess, das Geschehene zu verarbeiten. Das sei auch der Grund für sein Engagement beim Verein "Bleib bei uns". "Wir wollen den Menschen vermitteln, dass es immer einen Weg gibt", sagt Michael Wallner. "Und wenn wir damit nur eine einzige Person von dem Schritt abhalten können – oder es schaffen, wenigstens ein paar Menschen dazu zu bringen, in ihrer Umgebung ein bissl genauer hinzuschauen, wenn es jemandem schlecht geht, dann haben wir schon viel erreicht."
Mehr Interviews mit Angehörigen und Betroffenen und alle Infos zum Thema auf der Seite des Vereins www.bleibbeiuns.at
Wie verkraftet man den Tod des Vaters?
Offen darüber reden, nichts verschweigen, nichts unter den Teppich kehren: Das war von Anfang an die Strategie von Elisabeth Oberndorfer. Im September 2016 nahm sich ihr Vater mit 65 das Leben, "einen Abschiedsbrief hat er nicht hinterlassen", erzählt die Journalistin, die zwischen Gmunden und Wien pendelt.
"Er hatte eine kleine Firma. Es war damals meine Aufgabe, sie zu schließen und den oft langjährigen Kunden die Umstände zu erklären. Dabei habe ich gemerkt, wie gut es tut, das Ganze offen auszusprechen, statt es zu verschweigen", erzählt die 35-jährige gebürtige Kirchdorferin. Ihre Mutter und die beiden Schwestern sahen das genauso, sagt Oberndorfer.
Über den Grund für den Suizid ihres Vater könne sie nur Vermutungen anstellen: "Ich glaube, er hat selbst viele Dinge nicht richtig verarbeitet. Da hat sich wohl über die Jahre eine lange Kette von Dingen aufgebaut, die zu diesem Schritt geführt hat". Natürlich müsse nach so einer Tragödie jeder seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. "Aber mein Tipp ist: Nicht wegschieben, sondern darüber reden. Für mich war es das Beste, was ich tun konnte."