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"Ich würde noch einmal Buchhändler werden"

Von Edmund Brandner, 21. September 2024, 00:04 Uhr
"Ich würde noch einmal Buchhändler werden"
Michael Neudorfer (64) war als Buchhändler 25 Jahre lang eine Institution in Vöcklabruck.

VöCKLABRUCK. Vor 25 Jahren hängte Michael Neudorfer seinen Job als OÖN-Redakteur an den Nagel und eröffnete eine Buchhandlung im Stadtzentrum von Vöcklabruck. Jetzt geht er in Pension. Sein Team wird den Buchladen zwar weiterführen, doch mit Neudorfer verliert die Stadt eine Institution und eine kritische Stimme. Der 64-jährige Frankenburger ist verheiratet, zweifacher Vater und Obmann des Frankenburger Würfelspiels.

OÖN: Vor 25 Jahren erfüllten Sie sich einen Lebenstraum und wurden Buchhändler. Was reizte Sie daran?

Michael Neudorfer: Viele haben damals nicht verstanden, dass ich einen schönen, gut dotierten Beruf für eine Buchhandlung aufgebe. Ich bin aber seit meiner Kindheit ein Büchermensch. Ich wurde mit Büchern sozialisiert, und ich wollte immer mit Büchern arbeiten. Und ich wollte eine Buchhandlung führen, in der ich selbst gerne einkaufen würde.

Hat sich das Geschäft in den vergangenen 25 Jahren verändert?

Als ich anfing, kamen gerade Hörbücher auf, und viele sagten: Kein Mensch greift jetzt noch zum gedruckten Buch. Aber das hat natürlich nicht gestimmt. Jedes Medium hat seine Berechtigung. Die Kundenbedürfnisse haben sich eigentlich gar nicht geändert. Menschen erwarten sich von uns Beratung. Dazu muss ich Neuerscheinungen auch selbst lesen. Ich lese mindestens zwei Stunden pro Tag.

Gibt es einen Autor, der Ihr Leben verändert hat?

Ja, der Autor, der in meiner Schulzeit für mich das Tor zur Literatur öffnete, war Alois Brandstetter. Er zeigte mir, dass Literatur unterhaltsam und trotzdem gut sein kann. Ein gutes Buch nimmt den Leser mit, ist unterhaltsam und zugleich niveauvoll.

In der deutschen Literaturkritik stehen unterhaltsame Romane unter Generalverdacht.

Ja, und das ist schade. Mir fällt auf, dass die Menschen momentan gezielt Unterhaltung suchen. Seit Jahren sind sie von Krisen umgeben, von der Pandemie über Wirtschaftskrisen bis hin zum Klimawandel. Sie suchen Ablenkung von den realen Problemen, und das können Bücher sehr gut.

Verkaufen Sie auch Kommerz wie die vielen Regionalkrimis?

Ja, auch wenn ich den Boom nicht richtig nachvollziehen kann.

Reden Sie Kunden manche Bücher aus?

Nein, grundsätzlich nicht. Aber bei Kunden, die ich sehr gut kenne – und die meisten sind ja Stammkunden –, erlaube ich mir manchmal schon den Hinweis, dass ich nicht glaube, dass ihnen das Buch gefällt, das sie sich ausgesucht haben. Allerdings mache ich auch immer einen Alternativvorschlag.

In Ihrem Newsletter äußern Sie sich regelmäßig öffentlich. Manchmal üben Sie auch Kritik an der Stadtpolitik. Kommt da der Journalist in Ihnen hervor?

Ich empfinde das als meine Verantwortung. Wir leben in einer Demokratie und haben das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das sollten viel mehr Menschen nutzen. Ich habe mir damit allerdings auch schon Feinde gemacht …

… wie zum Beispiel den ehemaligen Bürgermeister Herbert Brunsteiner, den Sie als "Totengräber" der Innenstadt bezeichnet haben, als vor 20 Jahren die Varena eröffnet wurde. Reiben Sie sich gerne an Politikern?

Nein, es geht mir immer um die Sache. Ob sich die Kritik an einen Bürgermeister richtet oder an eine andere Person, ist mir egal. Für mich war damals klar, dass die Varena für die Innenstadt ein Riesenschaden sein würde. Man kann Einkaufszentren an den Stadträndern vielleicht nicht verhindern. Aber mir fehlte ein offensives Gegenkonzept für die Innenstadt. Die Entwicklung seither gab mir leider recht.

Es gab verschiedene Stadtmarketing-Konzepte.

Aber nichts Dauerhaftes. Mir fehlt eine klare Strategie, der man über Jahrzehnte hinaus eine Chance gibt und die einen verlässlichen Rahmen steckt, die manches ermöglicht, anderes vielleicht auch verhindert – aber in jedem Fall Klarheit gibt.

Viele Innenstadthändler klagen über einen massiven Umsatzrückgang in den vergangenen Jahren. Spürten Sie den auch?

Ja. Früher waren wir am Freitagnachmittag zu dritt im Geschäft. Heute schafft das einer allein. Das Geschäft hat sich eher auf den Vormittag verschoben. Die Genusseinkäufer, die sich Freitagnachmittag Zeit nehmen und durch die Innenstadt bummeln, die gibt es fast nicht mehr. Die flanieren heute in der Varena.

Als im Vorjahr der Verkehr am Stadtplatz beruhigt wurde, klagten viele Kaufleute über weitere massive Frequenzrückgänge. Empfanden Sie das auch so?

Ein klares Nein. Ich bin mir aber sicher, dass auch beim Verkehr eine klarere Linie der Stadtpolitik dem Handel helfen würde. Die Verantwortlichen sollten sich endlich entscheiden: Will ich eine Fußgängerzone in der Innenstadt – mit allen Vor- und Nachteilen? Oder will ich einen großen Parkplatz – mit allen Konsequenzen? Aber man muss sich endlich klar bekennen. Seit Jahren wird herumlaviert. Im Winter machen wir es so, im Sommer anders. Am Vormittag gilt diese Regel und am Nachmittag jene. Und jedes Jahr wird alles wieder geändert. Menschen aus dem Umland wissen überhaupt nicht mehr, wie die aktuelle Regelung aussieht. Das ist Gift für den Handel.

Sie gelten als Befürworter der Fußgängerzone.

Ja, und es geht doch auch international eindeutig in diese Richtung. Fußgängerzonen werden leider immer als Einschränkung wahrgenommen. Man sollte viel mehr auf das hinweisen, was Fußgängerzonen erst ermöglichen: Aufenthaltsqualität, Sicherheit, Platz für Kinder … Die Klagen der Kollegen nehme ich ernst, und ich wünschte, es ginge ihnen besser. Aber ist wirklich die Fußgängerzone schuld daran? Es gab ja lange eine Fußgängerzone, und da war die Situation offensichtlich nicht so schlecht. Anstatt Fußgängerzonen zu beklagen, sollten wir vielmehr über das große strukturelle Problem des Einzelhandels reden, und das ist der Onlinehandel. Man kann stationären Handel nur haben, wenn man ihn auch nutzt. Das muss den Menschen bewusst gemacht werden. Wir stehen an einem Scheideweg: Will ich, dass es stationären Handel gibt, oder verlegen wir den ganzen Handel ins Internet? Mit allen Konsequenzen, auch für das Stadtbild.

Sollten Sie sich zum Abschied von der Stadtpolitik etwas wünschen dürfen: Was wäre das?

Die ehemalige Stadtmarketingmanagerin Ulrike Meinhardt hatte eine wunderbare Idee: ein echter Weihnachtsmarkt rund um die Kirche mit Kunsthandwerk und musizierenden Musikschülerinnen und -schülern. Quasi der stilvolle Gegenentwurf zu den trostlosen Punschständen am Stadtplatz. Ich fände es schön, wenn die Stadtgemeinde diese feine Idee aufgreifen würde. Es täte der Innenstadt gut.

Wenn eines Ihrer Kinder selbstständiger Buchhändler werden wollte: Würden Sie es bestärken?

Ich würde mich freuen. Aber ich würde die Erwartungen dämpfen. Es ist ein schöner Beruf. Aber wir wissen nicht, wo die Reise hingeht, die Stimmung in der Branche ist sehr schlecht. (denkt lange nach) Ich selbst würde es wieder tun. Weil es so erfüllend ist.

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Autor
Edmund Brandner
Lokalredakteur Salzkammergut
Edmund Brandner

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