Video-Einvernahmen: Wie digital dürfen Strafverfahren sein?
Expertendiskussion an der Kepler-Uni: Corona war ein "Booster" für den Einsatz von Videotechnologie in der Strafjustiz.
Video-Einvernahmen in Strafverfahren seien kein Novum, das mit der Pandemie einhergegangen sei, wenngleich die Covid-Situation dem Einsatz von Videotechnik in der Justiz einen "Booster" verschafft habe. So formulierte es Alois Birklbauer, Universitätsprofessor für Strafrecht an der Johannes-Kepler-Uni, bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstag im Uni-Center. An der Diskussion nahmen Universitätsprofessorin Lyane Sautner, Leiterin der Abteilung für Strafrecht und Rechtspsychologie, Strafrichter Benedikt Weixlbaumer, Strafverteidiger Norbert Wess und die auf Persönlichkeitsrechte spezialisierte Anwältin Katharina Bisset teil.
Der Einsatz von Video steht im Spannungsverhältnis zur Prozessmaxime der Unmittelbarkeit. Doch bereits seit 1993 gehören Videovernehmungen zum Repertoire der Rechtsprechung, in Form von kontradiktorischen Einvernahmen. Zwingend seien diese bei minderjährigen Opfern von Sexualdelikten, um dem Opfer mehrmalige Aussagen zu ersparen, so Sautner.
Die Verteidigung könne über den Richter Fragen stellen, das Opfer müsse aber nicht in unmittelbarer Anwesenheit des Beschuldigten aussagen. Das Problem digitaler Aufnahmen sei die leichte Reproduzierbarkeit, gab Bisset zu bedenken. Bei Video-Befragungen via Zoom sei das Problem, "dass alles aufgenommen werden kann". Die technische Sicherheit sei noch nicht so weit.
Wess, der Verteidiger der Ex-Ministerin Sophie Karmasin ist, warnte davor, dass durch den Video-Einsatz die Rechte der Beschuldigten eingeschränkt werden könnten. Seit Corona gebe es die Tendenz, Einvernahmen per Video durchzuführen, weil es "ein bequemeres Vorgehen" sei. "Man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten." Er erinnere sich an die Haftverhandlung der Ex-Ministerin: "Ich war im Gerichtssaal mit dem Richter und dem Staatsanwalt", seine Mandantin sei aus der Zelle via Zoom zugeschaltet worden. "Ich konnte sie nicht sehen, ihr nur einmal kurz zuwinken, dass auch ich da bin." Dieser eingeschränkte Kontakt zwischen Mandanten und Verteidigern sei "sehr problematisch". Zudem müsse die "Vertraulichkeit des Gesprächs mit den Mandanten garantiert sein". Weixlbaumer sagte, die Richterschaft nehme die Bedenken nicht auf die leichte Schulter. Alle seien sich einig, dass die "Grenze" für den Video-Einsatz "die Einvernahme des Beschuldigten in der Hauptverhandlung" sei. Besprechungen zwischen Beschuldigten und Verteidigern müssten uneingeschränkt möglich sein.
"Dass im Saal eher die Wahrheit gesagt wird als per Video, glaube ich nicht", so der Richter. Aber: "Sensible Zeugen würde ich nicht aus der Ferne einvernehmen." Weixlbaumer sieht jedoch auch den Vorteil von Video-Einvernahmen bei Verhandlungen über bedingte Entlassungen aus dem Maßnahmenvollzug. "Die Menschen vorführen zu lassen, ist viel schlimmer für sie, als sie in ärztlicher Begleitung per Video zu befragen."