Nobelpreis für Physik geht an KI-Grundlagenforscher
STOCKHOLM. Der Physik-Nobelpreis 2024 geht an den US-Forscher John J. Hopfield von der Princeton University (USA) und den gebürtigen Briten Geoffrey E. Hinton von der University of Toronto (Kanada).
Das gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag in Stockholm bekannt. Sie werden "für bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen ermöglichen" geehrt. Sie gelten als Pioniere der Künstlichen Intelligenz (KI).
Die beiden diesjährigen Preisträger für Physik haben dem Nobelpreis-Komitee zufolge mithilfe physikalischer Methoden die Grundlage für leistungsfähiges maschinelles Lernen entwickelt. Mit ihrer Arbeit ab den 1980er Jahren hätten sie zu der um 2010 beginnenden Revolution des maschinellen Lernens beigetragen.
Fasziniert von der Struktur des Gehirns
Mit seinem physikalischen Hintergrund beschäftigte sich der aus Chicago stammende Hopfield zunächst mit theoretischen Problemen in der Molekularbiologie. Fasziniert von der Struktur des Gehirns begann er über die Dynamik einfacher neuronaler Netzwerke nachzudenken, also Systemen mit vielen Komponenten, die zusammenarbeiten und neue und interessante Phänomene hervorbringen können. Dafür nutzte er sein Wissen über magnetische Materialien, die dank ihres sogenannten atomaren Spins besondere Eigenschaften besitzen. Die Spins benachbarter Atome beeinflussen sich gegenseitig - und so konnte er ein Modellnetzwerk mit Knoten und Verbindungen erstellen.
1982 konnte der heute 91-jährige Hopfield so ein Netzwerk schaffen, das Bilder und andere Muster in Daten speichern und rekonstruieren kann. Das Nobel-Komitee nennt es "assoziatives Gedächtnis", weil es ähnlich arbeitet, wie man sich assoziativ versucht, etwa an ein bestimmtes Wort zu erinnern. Dieses Hopfield-Netz kann Muster speichern und verfügt über eine Methode, sie wiederherzustellen. Wird dem Netzwerk ein unvollständiges oder leicht verzerrtes Muster gegeben, kann die Methode jenes gespeicherte Muster finden, das am ähnlichsten ist.
"Boltzmann-Maschine"
Nachdem Hopfield seinen Artikel über das assoziative Gedächtnis veröffentlicht hatte, fragte sich der gebürtige Londoner Hinton, der in Großbritannien experimentelle Psychologie und Künstliche Intelligenz studiert hatte, ob Maschinen lernen könnten, Muster in ähnlicher Weise wie Menschen zu verarbeiten und ihre eigenen Kategorien für die Sortierung und Interpretation von Informationen zu finden. Ausgehend vom Hopfield-Netz nutzte er Ideen aus der statistischen Physik. Konkret verwendete er die berühmte Gleichung des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann aus dem 19. Jahrhunderts, mit der sich die statistische Verteilung von Teilchen in einem Medium, etwa einem Gas, beschreiben lässt. Hinton veröffentlichte seine Methode 1985 unter dem Namen "Boltzmann-Maschine".
Diese "Boltzmann-Maschine" lernt nicht durch Anweisungen, sondern indem ihr Beispiele gegeben werden. Seine Methode kann selbstständig Eigenschaften in Daten finden und so Aufgaben wie das Identifizieren bestimmter Elemente in Bildern ausführen. Solche "Boltzmann-Maschinen" würden oft als Teil eines größeren Netzwerks verwendet, schreibt das Nobelpreis-Komitee, das darauf verweist, dass die heutigen künstlichen neuronalen Netze oft riesig und aus vielen Schichten aufgebaut seien. "Deep Learning", das eine effiziente Verarbeitung von komplexen Informationen ermöglicht, basiert auf solchen tiefen neuronalen Netzen.
Grundlagen für KI-Systeme
Maschinelles Lernen werde seit langem in verschiedensten wissenschaftlichen Bereichen eingesetzt, die auch von früheren Nobelpreisen bekannt seien, so das Nobelpreis-Komitee. Dazu gehöre der Einsatz bei der Sichtung und Verarbeitung von riesigen Datenmengen, wie sie etwa zur Entdeckung des Higgs-Teilchens erforderlich waren. Hopfields und Hintons Modelle legten aber auch die Grundlagen für KI-Systeme wie ChatGPT.
Hinton (76) arbeitete ab 2013 neben seiner Tätigkeit an der University of Toronto auch für Google, wo er ein führender Entwickler von Künstlicher Intelligenz (KI) war. 2023 kündigte er bei Google und warnte vor einer unkontrollierbaren Entwicklung besonders fortgeschrittener KI, weil diese "ernste Risiken für die Gesellschaft und für die Menschheit" darstellen würden. Im Mai dieses Jahres warnte er mit Kollegen im Fachjournal "Science" neuerlich eindringlich vor Gefahren der Technologie: "Ohne ausreichende Vorsicht könnten wir unwiederbringlich die Kontrolle über autonome KI-Systeme verlieren", schrieben die Forscher.
Hopfield arbeitete nach seinem Physikstudium u.a. an der University of California in Berkeley und der Princeton University. Nach zahlreichen Stationen, etwa bei der US-Weltraumbehörde Nasa und in einem wissenschaftlichen Beratungsgremium des US-Präsidenten, kehrte er 1997 nach Princeton zurück.
11 Millionen Kronen Preisgeld
Die Auszeichnung ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 970.000 Euro) dotiert. Übergeben wird der Preis alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Im vergangenen Jahr ging der Physik-Nobelpreis an den österreichisch-ungarischen Physiker Ferenc Krausz, seinen in den USA tätigen Kollegen Pierre Agostini und die in Schweden arbeitende Physikerin Anne L'Huillier. Sie wurden für experimentelle Methoden geehrt, die Attosekunden-Lichtimpulse zur Untersuchung der Dynamik von Elektronen in Materie erzeugen.
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