20 Jahre Erdogan: Wie der türkische Präsident um die Macht kämpft
ANKARA. Recep Tayyip Erdogan kam vor 20 Jahren mit Versprechen an die Macht, die den Menschen in der Türkei Hoffnung gaben: Korruption bekämpfen, Misswirtschaft beenden und das Land demokratisieren.
Nach dem Erdrutsch-Wahlsieg seiner damals noch neuen AK-Partei im Jahr 2002 versprach Erdogan: "In der Türkei wird, so Gott will, eine neue weiße Seite aufgeschlagen." Das "AK" im Namen der Partei, das "rein" oder "weiß" bedeutet, sollte dafür stehen. Ziel sei der Beitritt zur EU und die Integration in die Weltwirtschaft, man wolle den Lebensstil aller Bürger respektieren. 20 Jahre später klingen diese Worte für viele wie aus einer anderen Welt. Erdogan (69) - seit 2003 Ministerpräsident und seit 2014 Staatspräsident - hat heute fast alle Macht in seinen Händen. Dennoch wirkt er so schwach wie nie. Ein Bündnis aus sechs Parteien hat mit seinem Kandidaten Kemal Kilicdaroglu (74) gute Chancen, Erdogan am 14. Mai zu schlagen. Opposition und Regierung bezeichnen die Parlaments- und Präsidentenwahlen als Schicksalswahl. Beobachter halten das nicht für übertrieben. "Für die Türkei geht es an der Urne um die Frage Autoritarismus oder Demokratie", sagt Gönül Tol, Direktorin des Türkei-Programms am Nahost-Institut in Washington.
Abwahl Erdogans wäre Zäsur
Würde Erdogan abgewählt, wäre das eine Zäsur. Er ist der einflussreichste Politiker seit Mustafa Kemal Atatürk, der die türkische Republik vor 100 Jahren gründete. Erdogans erste Regierungsjahre waren von Reformen geprägt. Die Türkei erlebte einen atemberaubenden Wirtschaftsaufschwung. Das durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen wuchs alleine in den ersten zwei Legislaturperioden der AKP um mehr als das Dreifache.
Erdogan beschnitt die Übermacht des Militärs, 2004 wurde er zum "Europäer des Jahres" gewählt - ein Jahr später begann er offizielle Beitrittsverhandlungen mit der EU. Selbst den jahrzehntelangen blutigen Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK schien er beenden zu können. Bekannte türkische Intellektuelle wie der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und die Soziologin Nilüfer Göle unterstützten Erdogan damals in seinem Kurs.
Weitreichende Befugnisse durch Präsidialsystem
Viele seiner eigenen Reformen hat Erdogan inzwischen zurückgedreht. Die EU-Beitrittsgespräche liegen auf Eis, Regierungsgegner sitzen im Gefängnis und ein Großteil der Medien steht unter Erdogans Kontrolle. Den Friedensprozess mit der PKK beendete Erdogan 2015, die legale prokurdische Partei HDP kriminalisiert er seither. Vor fünf Jahren führte er per Volksentscheid ein Präsidialsystem ein, das ihm weitreichende Befugnisse bescherte. Wichtige Entscheidungen gehen seitdem durch ein Nadelöhr: Erdogans Präsidentenpalast.
Die Inflation hat sich zwar auf rund 50 Prozent abgeschwächt, ist aber noch immer auf einem 20-Jahre-Hoch. Vor allem Lebensmittel sind trotz gestiegenen Mindestlohns teuer für die Türkinnen und Türken geworden. Schuld an der Teuerung ist Expertinnen und Experten zufolge auch Erdogans unorthodoxe Geldpolitik, die Zentralbank gilt zudem als politisiert. Viele junge Türkinnen und Türken denken ans Auswandern: Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2021 wollen rund 73 Prozent der 18- bis 25-Jährigen am liebsten im Ausland leben.
Aggressive Außenpolitik
Erdogan führte eine teils aggressive Außenpolitik, vor allem im Bürgerkriegsland Syrien. Er sei vor allem ein Pragmatiker, dem es um Machterhalt gehe, schreibt Expertin Göl in ihrem jüngsten Buch über Erdogan. Dazu benutze er sowohl Außenpolitik als auch die Ideologie, die ihm beim Machterhalt helfe. So habe er in seinen ersten beiden Legislaturperioden den Weg der Demokratie und der Menschenrechte eingeschlagen, um etwa das übermächtige Militär kaltzustellen. Später habe er eine islamistisch-populistische Agenda verfolgt, dann eine nationalistische. "Er ist ein politisches Chamäleon, das ständig seine Farben ändert, um zu überleben", so Tol.
Für die Wahl hat Erdogan neue Allianzen geschmiedet. Bereits 2018 war er im Bündnis mit der ultranationalistischen MHP angetreten. Nun wird er unter anderem auch von der islamistischen Neuen Wohlfahrtspartei und der kurdisch-islamistischen Hüda Par unterstützt. Das sorgt sogar in den eigenen Reihen für Kritik. Die beiden islamistischen Parteien wollen etwa Regulierungen zum Schutz von Frauen gegen Gewalt abschaffen. Özlem Zengin, Vize-Fraktionsvorsitzende der AKP, protestierte dagegen - erfolglos.
Die Parlamentswahlen, die gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen stattfinden, sind durchaus wichtig. Der AKP könnte dabei ein neues Wahlsystem helfen, das es ihr erleichtert, eine Mehrheit zu erlangen. Wird der Kampf ums Präsidentenamt nicht in der ersten Runde entschieden, hätte die Partei, die schon das Parlament gewonnen hat, in einer Stichwahl einen psychologischen Vorteil.
Kilicdaroglu hat gute Chancen auf einen Sieg
Erdogan-Gegner Kilicdaroglu wird indirekt auch von der prokurdischen HDP unterstützt und hätte dadurch gute Chancen auf einen Sieg schon in der ersten Runde. Ein Abtrünniger schmälert aber diese Aussicht und spielt Erdogan in die Hände: Muharrem Ince, Kandidat von Kilicdaroglus CHP bei den Wahlen 2018, tritt nun für seine eigene Partei als Präsidentschaftskandidat an. Er hat nur ein Wählerpotenzial von wenigen Prozent, zieht aber Stimmen aus dem Oppositionsblock.
Der Wahlkampf wird sich voraussichtlich auf die vom Erdbeben betroffenen Provinzen konzentrieren - großteils AKP-Hochburgen. Das Beben hat in der Türkei Zehntausende Menschen das Leben gekostet und Millionen obdachlos gemacht. Betroffene sind frustriert, viele werfen der Regierung vor, vor allem anfangs in der Erdbebenhilfe versagt und zuvor Baumängel geduldet zu haben.
Erdogan hat landesweit bereits teure Wahlgeschenke verteilt und etwa den Mindestlohn erhöht. Nun versucht er, mit dem Versprechen zu punkten, dass nur er die Erdbeben-Region wieder aufbauen könne. Inwieweit das verfängt oder die Bürgerinnen und Bürger nach 20 Jahren für einen Neuanfang stimmen, wird sich zeigen.
Vielleicht putzt ihn doch noch mal jemand weg…….
Politische Gegner wegsperren = Diktatur
Politische Gegner frei und die Meinung sagen lassen = Demokratie.
Also, liebe Österreicher, wenn Österreich keine Demokratie ist, dann heiß ich Otto.