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"Die russischen Besatzer werden nach und nach aus Charkiw zurückgedrängt"

Von OÖN, 12. Mai 2022, 00:04 Uhr
"Die russischen Besatzer werden nach und nach aus Charkiw zurückgedrängt"
Ukrainische Experten entschärfen Todesfallen, die die abrückenden Russen hinterlassen haben. Bild: APA/AFP/SERGEY BOBOK

KIEW. Ukraine meldet Geländegewinne im Osten – abrückende Russen hinterlassen Todesfallen

Die ukrainische Armee hat Geländegewinne rund um die zweitgrößte Stadt Charkiw im Osten des Landes vermeldet. "Die Besatzer werden nach und nach aus Charkiw zurückgedrängt", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht auf Mittwoch in einer Videobotschaft.

"Mehrere Ortschaften wurden befreit", erklärte der ukrainische Generalstab auf Facebook. Während die russische Armee dadurch die Stadt Charkiw "noch weniger" mit Artillerieangriffen treffen konnte, habe die "Intensität der Bombardierungen im Bezirk Charkiw zugenommen".

Die russischen Truppen hinterlassen nach Angaben der ukrainischen Regionalverwaltung zudem "Todesfallen", also Minen. Durch Charkiw zieht sich nach Angaben der Regionalverwaltung "eine Spur der Verwüstung". Unter den Trümmern eines zerstörten Hauses in der unter russischer Kontrolle befindlichen Stadt Isjum wurden demnach die Leichen von 44 Zivilisten gefunden.

Häufige Raketenangriffe

Die nördlichen und nordöstlichen Stadtteile von Charkiw waren in den vergangenen Wochen häufig das Ziel russischer Raketenangriffe. Die russischen Truppen rückten zudem bis auf wenige Kilometer an die Stadt heran. Das US-Institut für Kriegsforschung (ISW) erklärte jedoch am Wochenende, dass die ukrainische Armee in diesem Teil des Landes "bedeutende Fortschritte macht und wahrscheinlich in den nächsten Tagen oder Wochen bis zur russischen Grenze vorrücken wird".

Während die Ukrainer im Nordosten wieder die Kontrolle über verlorene Gebiete übernehmen, rücken die Russen etwa 150 Kilometer südöstlich im Donbass Stück für Stück vor. Das ukrainische Südkommando meldete "gnadenlose" Angriffe der russischen Streitkräfte auf Privathäuser, landwirtschaftliche Einrichtungen und die Stromversorgung.

Annexion von Cherson?

Die von Moskau in der Region Cherson eingesetzten Behörden kündigten am Mittwoch an, Russland um eine Annexion des Gebiets zu bitten. Die Region solle ein "vollwertiger Teil der Russischen Föderation" werden, sagte der stellvertretende Leiter der Militär-und Zivilverwaltung von Cherson, Kirill Stremussow.

Im Kreml wurde diese Initiative der unteren Funktionärsebene zurückhaltend aufgenommen.

Gefechte um die Schlangeninsel

Unterdessen gehen die Kämpfe auf der strategisch wichtigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer weiter. Ukrainische Drohnenangriffe verhindern laut dem britischen Geheimdienst bisher eine Dominanz russischer Truppen. Russland versuche immer wieder, seine Kräfte auf der Insel nahe der Hafenstadt Odessa zu verstärken, berichtete das Verteidigungsministerium in London.

Russische Versorgungsschiffe hätten seit dem Untergang des Kriegsschiffes "Moskwa" und dem Rückzug der Marine zur annektierten Halbinsel Krim nur wenig Schutz. Falls es Moskau gelinge, seine Position mit strategischer Luftverteidigung und Marschflugkörpern zur Verteidigung zu festigen, könnte es das nordwestliche Schwarze Meer beherrschen.

Landbrücke bis Moldawien

Die Verlagerung des Kampfgeschehens auf den Donbass dürfte nach Einschätzung der US-Geheimdienste nur "vorübergehend" sein. Russlands Präsident Wladimir Putin bereite sich auf einen längeren Konflikt in der Ukraine vor, in dessen Verlauf er "immer noch beabsichtigt, Ziele zu erreichen, die über den Donbass hinausgehen", sagte US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines. Putin wolle eine Landverbindung über den Süden der Ukraine bis nach Transnistrien in der Republik Moldau herstellen.

Millionen Jobs verloren

4,8 Millionen Arbeitsplätze sind seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine am 24. Februar nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verloren gegangen. Das entspricht etwa 30 Prozent der ukrainischen Erwerbsbevölkerung vor Kriegsbeginn, teilte die ILO mit.

Die Arbeitsplatzverluste könnten auf bis zu sieben Millionen steigen, wenn die Feindseligkeiten länger andauerten. Andererseits könnten 3,4 Millionen Arbeitsplätze im Falle eines Waffenstillstands schnell wieder entstehen.

Die ILO warnte zudem, dass der Krieg auch die Arbeitslosigkeit in den Nachbarländern wie etwa Polen, die viele Flüchtlinge aufnehmen, in die Höhe treiben könnte.

Amnesty-Chefin: "Wladimir Putin hasst die Ukrainer"
Agnes Callamard, Chefin von Amnesty International Bild: AFP/Marvin Recinos

Amnesty-Chefin: „Wladimir Putin hasst die Ukrainer“

In der russischen Führung um Präsident Wladimir Putin herrscht nach Ansicht der Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ein „Hass“ gegen alle Ukrainer. „Es gibt Aussagen, Kommentare und Auftritte Putins und anderer russischer Führer, die zeigen, wie sie das Volk der Ukrainer ignorieren und hassen, in denen sie reden, als ob die Ukraine nicht existiert“, sagte Agnes Callamard in der Nacht auf Mittwoch im ukrainischen TV.

„Und genau diese Aussagen werden wir als Teil der Beweisführung nutzen, wenn wir die Frage des Völkermords erörtern.“ Die in diesem Krieg eingesetzte Gewalt sei auf das von Moskau geschaffene Systemdenken zurückzuführen. „Gewalt wird zur Haupthandlungsweise, sie wird toleriert und manchmal sogar verherrlicht. Es gibt keine Kontrolle, und dies schafft die Bedingungen für gewalttätiges Verhalten, es gibt ein Regime der Straflosigkeit“, so Callamard.

„Verbrechen wiederholen sich“

Es gebe zwar keine Beweise dafür, dass die Militärführung von den Soldaten Folter oder Mord verlange. „Aber wir haben Beweise dafür, dass die Führung diese Verbrechen nicht stoppt. Also wiederholen sie sich immer und immer wieder“, sagte die Amnesty-Chefin.

Callamard hatte in den vergangenen Tagen mit einer Delegation die Vororte von Kiew besucht, in denen Dutzende von Zivilisten Opfer russischer Gewalt wurden.

Aktivistin gelang Flucht aus Russland
Bild: APA/AFP/JOEL SAGET

Aktivistin gelang Flucht aus Russland

Der Aktivistin der kremlkritischen Punkband Pussy Riot, Maria Aljochina, ist trotz polizeilicher Überwachung die Flucht aus Russland gelungen. Mit Hilfe von Freunden gelangte die 33-Jährige via Belarus nach Litauen, sagte sie der „New York Times“. Um ihren Überwachern in Moskau zu entkommen, habe sie sich als Essenslieferantin verkleidet. Zur Ablenkung und um nicht geortet zu werden, habe sie zudem ihr Handy zurückgelassen, berichtete die 33-Jährige.

„Ich verstehe immer noch nicht ganz, was ich getan habe“, sagte die Künstlerin der Zeitung in einem Interview. Sie sei aber froh, dass sie es geschafft habe. „Wenn dein Herz frei ist, spielt es keine Rolle, wo du bist“, betonte sie. Vergangene Woche sei „viel Magie“ passiert. „Es klingt wie ein Spionage-Roman.“

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