Mit massiven Luftangriffen versucht Russland, die Ukraine zu stoppen
KIEW/MOSKAU. Obwohl der Druck wächst, plant der Kreml noch "keine Generalmobilmachung".
Die ukrainischen Truppen kamen auch gestern mit ihrer Gegenoffensive im Nordosten des Landes gut voran und meldeten inzwischen die Rückeroberung eines Gebietes von mehr als 6000 Quadratkilometern. Der Druck auf die russischen Truppen wird damit mit jedem Tag größer. Obwohl sie sich aus immer mehr Gebieten in der Ukraine zurückziehen müssen, gebe es derzeit keine Pläne zur Generalmobilmachung, betonte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: "Im Moment nicht, davon ist keine Rede", sagte er.
Stattdessen verstärkten die russischen Einheiten ihre Angriffe aus der Luft. "Die Luft- und Raketenstreitkräfte sowie die russische Artillerie führen in allen Einsatzgebieten massive Angriffe gegen Einheiten der ukrainischen Streitkräfte aus", teilte das russische Verteidigungsministerium mit.
"Ihr seid nur Kanonenfutter!"
Die ukrainischen Militärs starteten auch eine Propaganda-Offensive: Um noch mehr russische Soldaten zum Aufgeben zu bewegen, werfen die ukrainischen Streitkräfte vor ihrem Vormarsch Granaten ab, die mit Flugblättern gefüllt sind. "Die Russen benutzen euch als Kanonenfutter! Euer Leben hat für sie keine Bedeutung. Ihr braucht diesen Krieg nicht! Ergebt euch den Streitkräften der Ukraine", heißt es auf den Flugblättern.
Inzwischen beginnt auch die Stimmung in Russland zu kippen: Die Kritik an dem Krieg und dessen Anführern wird immer lauter. Dutzende Lokalpolitiker in Russland haben bereits den Rücktritt von Kremlchef Wladimir Putin gefordert. Es kämen immer weitere Unterstützer hinzu, twitterte die Abgeordnete eines St. Petersburger Bezirksrats, Xenia Torstrem. "Wir finden, dass die Handlungen von Präsident Putin Russlands Zukunft und seinen Bürgern schaden", heißt es in der Petition. Mehr als 40 Lokalpolitiker sollen unterschrieben haben.
Bereits in der vergangenen Woche hatten mehrere Moskauer Politiker ein ähnliche Rücktrittsaufforderung an Putin gerichtet. "Lieber Wladimir Wladimirowitsch", heißt es in dem Schreiben der Abgeordneten des Lomonossow-Bezirks. "Wir bitten Sie, Ihren Posten zu räumen, da Ihre Ansichten und Ihr Führungsmodell hoffnungslos veraltet sind."
Offenbar haben die russischen Einheiten auch zunehmend Probleme mit dem Waffennachschub: Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben zum ersten Mal eine von Russland eingesetzte iranische Kamikaze-Drohne auf dem Schlachtfeld entdeckt. Ein ukrainischer Militärvertreter veröffentlichte Bilder des Wracks. US-Geheimdienste hatten bereits im Juli davor gewarnt, dass Teheran Hunderte dieser Drohnen nach Russland schicken könnte, um dessen Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Der Iran dementierte zunächst, dann jedoch prahlte der Chef der paramilitärischen Revolutionsgarde, man bewaffne die größten Mächte der Welt.
"Für Putin beten"
Unterdessen mischt sich auch der orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill I. wieder in das Kriegsgeschehen ein, um Propaganda für seinen Freund, Kremlchef Putin, zu machen: Russland stecke in einer "schicksalhaften Mission" gegen ausländische Mächte, die das Riesenreich als unabhängigen Staat zerschlagen wollten, sagte das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt.
Daher solle man jetzt besonders für "unser Vaterland, für die Armee und für Präsident Putin beten, damit der Herr ihn weiser macht, stärkt, leitet und inspiriert, so zu handeln, dass unser Vaterland vor allen äußeren Bedrohungen, vielleicht sogar vor den gefährlichsten und schrecklichsten, geschützt wird".