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Walter Ötsch: „Wir befinden uns in einer Spirale nach unten“

Von Wolfgang Braun, 30. November 2011, 00:04 Uhr
Interview
Ötsch: »Allseits der Drang zur Mitte« Bild: (Wakolbinger)

LINZ. Die heutige Politik agiert kurzfristig und technokratisch, kritisiert Walter Ötsch, Volkswirtschafter und Kommunikationsexperte an der Universität Linz.

OÖN: Sie haben für Donnerstag und Freitag in Linz eine Tagung zum Thema Demokratie organisiert. Wie schaut die Zukunft der Demokratie angesichts der Finanzkrise aus?

Ötsch: Das Grundgerüst der Demokratie, die Wahlen, die Bildung von Parteien etc., das gibt es noch. Aber inhaltlich wird die Demokratie bzw. das Prinzip, wonach das Recht vom Volk ausgeht, ausgedünnt. Die Debatte um die Staatsschulden ist ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der Demokratie. Wenn es in der EU eine gemeinsame Fiskalpolitik geben sollte, schwindet der Einfluss der einzelnen Länder auf die Gestaltung ihrer Budgets.

OÖN: Ist die Geschichte vom Versuch der Bewältigung der Finanzkrise nicht auch eine von der Ohnmacht der Politik?

Ötsch: Die Politik ist ideologielos geworden, es gibt allseits den Drang zur Mitte, die Parteien werden dadurch schwer unterscheidbar. Der Durchschnittsbürger fühlt sich von dieser Politik nicht mehr repräsentiert. Am Beispiel der Finanzkrise wird das deutlich. Niemand erklärt, warum es diese Krise gibt. Die einzige Antwort heißt sparen. Aber niemand zeigt auf, wozu wir es tun müssen und welche Perspektiven wir haben. Es gibt in Österreich niemanden, der ein Bild davon entwirft, wie unser Land in fünf Jahren ausschauen soll. Dieses gestaltende Element fehlt, die Politik ist kurzfristig und technokratisch. Der einzige, der den Leuten aus seiner populistischen Sicht die Krise erklärt, ist Strache. Aber seine Argumente sind zutiefst abzulehnen und würden die Lage zusätzlich verschärfen.

OÖN: Ist unsere Regierung für die Herausforderung der Krise gerüstet?

Ötsch: Ich glaube nicht. Sie wird sich auf einen Sparkurs einigen. Die Konservativen frohlocken, weil der überbordende Sozialstaat zurückgefahren wird. Wobei sie zum Teil recht haben, denn das Problem der Frühpensionen ist sicher ein Skandal. Durch diese Konzentration auf das Sparen findet aber eine Umdeutung der Krise statt. Sie hat ihren Ausgang 2008 nicht als Schulden-, sondern als Finanzkrise genommen. Die Banken haben sich mit dem Staatsschicksal verzahnt, darum haben wir heute eine europäische Banken- und Staatskrise – und die Situation ist dramatisch.

OÖN: Auch auf EU-Ebene hat man nicht den Eindruck, als könne man die Sache in den Griff bekommen.

Ötsch: Entscheidend ist, was Deutschland macht. Deutschland war anfangs gegen eine Griechenland-Hilfe, gegen einen Rettungsschirm etc. Gekommen ist trotzdem alles. Jedes Mal hieß es dann, diese Maßnahme sei entscheidend, aber die Lage wurde immer dramatischer. Diese Politik hat die Dinge verschlechtert, wir befinden uns in einer Spirale nach unten. Die Frage wird sein, was passiert, wenn eine massive Spekulation gegen Deutschland einsetzt. Die Deutschen sind handlungsfähig, dann sind drastische Aktionen zu erwarten.

 

Tagung

Wohin steuert die Demokratie? Zu dieser Frage lädt die Linzer Kepler-Uni am 1. und 2. Dezember zu einer Tagung in den Linzer Wissensturm. Zu Gast sind u. a. der Sozialwissenschaftler Colin Crouch und der Politologe Anton Pelinka (Beginn am 1. 12. um 19 Uhr).

 
 
 
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3  Kommentare
3  Kommentare
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( Kommentare)
am 30.11.2011 11:27

ideologielose Politik ?

Ich seh das so:

Es hat mit Ideologie wenig zu tun, wenn unsere Schuldenpolitiker ihre eigentliche Arbeit - a b s e i t s aller Ideologie - einfach wegschieben. Das nenn ich Arbeitsverweigerung.

Wie zum Beispiel das Wegschieben und Verleugnen der nötigen,
jährlich wirklich nachhaltig kosten- und staatsschulden-senkenden Staats- und Verwaltungsreformen.

Wenn es eine "Ideologie" weltweit geben sollte, dann die des unerschöpflichen Wachstums der Spekulations-Wirtschaft und des fiktiven Wohlstands,

mittlerweile eine wahrhaft "gottgleiche" Ideologie aller Schuldenmacher-Nationen ...

... Österreich inklusive,

wobei die Reichen immer reicher, und die Armen immer ärmer werden.

Und die USA geht (wenn nötig mit der Nato) voran, und belebt ihre Wirtschaft mit der weltmachtsichernden Rüstungsindustrie ...

... damit die "Demokratie" weltweit "nachhaltig und opferungsbereit" verbreitet werden kann.

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reibungslos (15.192 Kommentare)
am 30.11.2011 12:15

Die Politik ist durch und durch ideologisiert. Deshalb wird auch jeder Fehler ständig wiederholt und alternative Ideen haben keine Chance.

Dazu kommt der Umstand, dass die etablierten Parteien noch immer in ideologischen Denkmustern aus dem späten 19. Jahrhundert verhaftet sind. Man trägt dfie Ideologie zwar nicht mahr offen herum, aber wenn es schwierig wird, lässt man nur die alten Denkstrukturen gelten.

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gegenstrom (16.154 Kommentare)
am 30.11.2011 06:40

...wäre zu interessant, wenn er feststellt:

"was passiert, wenn eine massive Spekulation gegen Deutschland einsetzt. Die Deutschen sind handlungsfähig, dann sind drastische Aktionen zu erwarten."

Was passiert wenn auch gegen Deutschland spekuliert wird, das ist doch naheliegend dass dies auch kommen wird! Hat man noch nicht kapiert, dass die Ratingagenturen der Reihe nach die Länder "bewerten" und nicht den Euro-Raum insgesamt.
Die "drastische Aktion" ist wohl der Zerfall des Euro und die Rückkehr der Deutschen zur D-Mark?

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