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Auf ein Wort, Herr Bundeskanzler

16. August 2024, 00:04 Uhr
 Auf ein Wort, Herr Bundeskanzler
Der ÖVP-Chef, hier im Kreisky-Zimmer, will – wie einst das SPÖ-Idol – die politische Mitte gewinnen. Bild: VOLKER WEIHBOLD

In den nächsten Wochen steht viel auf dem Spiel, Herr Bundeskanzler. Es geht um die Würde von Flüchtenden und das demokratische Selbstbestimmungsrecht unseres Volks, um Solidarität mit armutsgefährdeten Menschen und einen kollektiven Willen zur Leistung, um die Zukunft unserer Kinder auf einem brennheißen Planeten und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich, um den unveräußerlichen Minderheitenschutz und die vitalen Interessen der Mehrheitsgesellschaft.

Leitkultur

Ja, es geht auch um die Leitkultur unseres Staatswesens. Eigentlich schade, wie – mit Verlaub – mut- und planlos Ihre Partei diese wichtige Debatte angegangen ist. Leitkultur hat nichts mit Volkstümelei zu tun. Sie sollte der Kompass für ein gedeihliches Zusammenleben in einem Staatsgefüge sein. Hierzulande also ein humanistischer Wertekonsens einer aufgeklärten, liberalen, westlichen Gesellschaft, der weit über das geschriebene Recht hinausgeht.

Ausfluss dieses Konsenses sind auch Umgangsformen jenseits eines Sanktionsregimes. Man denke nur an unsere Vorstellung von einem respektvollen, achtsamen und gleichberechtigten Umgang im öffentlichen Raum (Bim, Freibad, Park etc.) oder von einer unaufdringlichen Hilfsbereitschaft gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung. Für eine so verstandene Leitkultur braucht es freilich ganz andere Bilder und Erzählungen, als sie Ihre Partei zunächst verwendet hat.

Und noch ein Gedanke ist bisher durch den missglückten Diskurs zu kurz gekommen: Wer die Idee der Leitkultur negiert, der kann nicht zugleich an die Möglichkeit von Integration glauben. Auch wenn dieses Konzept nicht mit einer vollständigen Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, also einer Assimilation, zu verwechseln ist, geht es um eine soziale und kulturelle Eingliederung. Ohne entsprechenden Kompass muss dieser Prozess zur Farce werden.

Die Leitkultur eines Nationalstaats in einer globalen Welt kann freilich nicht nur das Zusammenleben im Inneren betreffen. Sie muss auch unsere Verantwortung als Mitglied der EU adressieren und darüber hinaus die globalen ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen unseres Handelns innerhalb der Weltgemeinschaft im Blick haben.

Verantwortungsethik

Wollen Sie wirklich die Mitte der Gesellschaft in Ihrer Vielschichtigkeit erreichen, Herr Bundeskanzler, sollte sich die ÖVP wieder mehr auf ihren christlich-sozialen Markenkern besinnen. Auch zur Bestärkung einer Leitkultur mit Individuen und Kollektiven, die Gründe sorgsam abwägen und Folgen mit Bedacht abschätzen, bevor sie entscheiden.

Es gibt keinen Ausweg aus der Verantwortlichkeit, sagt auch der deutsche Philosoph und SPD-Vordenker Julian Nida-Rümelin aus rein ethischer Perspektive. Sie ist in unser Menschsein eingeschrieben. So gesehen kann, ja muss die conditio humana Leitstern für eine Politik der Mitte sein. Eine stete Orientierung an der Endlichkeit und Verletzlichkeit menschlicher Existenz ist auch das Abgrenzungskriterium schlechthin gegenüber einer populistischen und extremistischen Politik.

Nur auf einem solchen ethischen Fundament wird es auch gelingen, die eingangs angesprochenen hochkomplexen Herausforderungen zu bewältigen. Die dafür erforderlichen demografischen, sozialen und ökologischen Transformationsprozesse können nur aus der Mitte der Gesellschaft heraus in Gang gesetzt werden – mit einer Politik, die nicht spaltet, sondern durch sachliche Analysen, transparentes Abwägen und einen ergebnisoffenen Prozess des Aushandelns Brücken baut.

Migrationswahlkampf

So wie es aussieht, werden innere Sicherheit und Migration die Nationalratswahl entscheiden. Auf mehreren Ebenen ist hier die Kickl-FPÖ kaum zu schlagen: nicht im Kampf der Parolen und nicht im Wettbewerb der brachialen Ideen. Nicht in der Präsenz auf Social Media und schon gar nicht auf der Fieberkurve öffentlicher Erregung.

Die von Ihnen propagierte Politik der Mitte sollte daher gerade in Sachen Migration den türkisen Populismus Marke "Sebastian Kurz" hinter sich lassen. Er verfängt nicht mehr, jedenfalls nicht bei den für Sie erreichbaren Zielgruppen. Umso dringlicher wünschen sich aber gerade Menschen aus der Mitte der Gesellschaft einen wahrhaften Dialog über die Bedingungen und Handlungsperspektiven einer künftigen Migrationspolitik.

Ausgangspunkt dafür muss der ebenso bittere wie nüchterne Befund sein, dass wir schon jetzt in Ballungsräumen dem Anspruch einer Integration von Migrantinnen und Migranten vielfach nicht mehr gerecht werden, ja angesichts der schieren Mengenverhältnisse kaum gerecht werden können. Dort, wo die einheimische Bevölkerung bereits in der Minderheit ist, ja in Schulklassen gar nicht mehr existent ist, muss die Idee von einer Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft denknotwendig scheitern.

Und noch eine unangenehme Wahrheit ist den Menschen in diesem Land zumutbar: Selbst Flüchtende ohne Asylgrund, die es nach Österreich geschafft haben, werden zu einem ganz großen Teil hierbleiben, weil eine Abschiebung schon aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt, und zwar oft auch dann nicht, wenn ein Migrant straffällig wird.

Eine effektive Migrationspolitik muss daher alles daransetzen, dass sich Menschen ohne Recht auf Asyl erst gar nicht auf den oft lebensgefährlichen Weg nach Österreich machen. Zugleich sollte sie endlich ein wirksames Regime für Arbeitsmigration auf den Weg bringen. Und sie hat für innerstaatliche Gesetze und Strukturen zu sorgen, die eine solche Verteilung der Geflüchteten sicherstellt, damit eine Integration für alle Beteiligten überhaupt noch leistbar ist.

Herr Bundeskanzler, Sie haben uns nach der EU-Wahl wissen lassen, dass Sie die Botschaft der Wählerinnen und Wähler verstanden haben. Ein wahrhafter Dialog im Wettbewerb um die Stimmen, der den Versprechen von Festungen und kürzerer Lebensarbeitszeit keine neuen Phrasen und Inszenierungen entgegensetzt, wäre bereits ein starkes Signal an die Mitte der Gesellschaft.

Sie erreichen den Autor unter m.lukas@nachrichten.at

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