Deutsche Exporte in Ex-Sowjetrepubliken steigen um bis zu 950 Prozent
BERLIN. Verdacht auf Umgehung der Sanktionen gegen Russland steht im Raum.
Die deutschen Exporte in zahlreiche russische Anrainerstaaten sind auch im ersten Quartal kräftig gestiegen, was Experten zufolge den Verdacht der Umgehung von Sanktionen erhärtet. Die Ausfuhren nach Kirgisistan etwa wuchsen von Jänner bis März um rund 949 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf gut 170 Mio. Euro, ergab eine Reuters-Auswertung auf Basis vorläufiger Daten des Statistischen Bundesamtes. Auch die Ausfuhren in andere ehemalige Sowjetrepubliken wie Georgien (+92 Prozent), Kasachstan (+136 Prozent), Armenien (+172 Prozent) oder Tadschikistan (+154 Prozent) legten außergewöhnlich stark zu. Gleichzeitig brachen die deutschen Lieferungen nach Russland um mehr als 47 Prozent ein.
Experten vermuten, dass über diese Länder Waren in Russland landen, die eigentlich wegen des Krieges gegen die Ukraine auf der EU-Sanktionsliste stehen. "Ganz klar, das müssen Umgehungsgeschäfte sein", sagte der Handelsexperte und Präsident des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), Gabriel Felbermayr, der Nachrichtenagentur Reuters. "Wie sonst wären solche Wachstumsraten zu erklären." Schon im gesamten vergangenen Jahr war der Export von Waren "Made in Germany" mit vielen dieser Länder außergewöhnlich stark gestiegen. So legte etwa das Kirgisistan-Geschäft 2022 um mehr als das Sechsfache zu.
Zuwächse besonders bei Kfz und Zubehör
"Armenien, Weißrussland, Kasachstan und Kirgisistan sind mit Russland in einer Zollunion", erklärte Felbermayr, der bis 2021 das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) leitete. "Das heißt, sie haben ein gemeinsames Zollregime gegenüber Drittstaaten. Was von der EU nach Kirgistan geht, kann von dort ohne weitere Kontrollen und Zölle nach Russland weiterverkauft werden." Besonders stark wuchsen die Exporte von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen nach Kirgisistan, die um 4.129 Prozent nach oben schnellten auf mehr als 84 Mio. Euro. Auch Metallerzeugnisse, chemische Produkte und Bekleidung nahmen um jeweils mehr als 1.000 Prozent zu, Maschinen um rund 752 Prozent.
Die deutschen Türkei-Exporte sind ebenfalls überdurchschnittlich stark gestiegen im ersten Vierteljahr, und zwar um fast 37 Prozent auf knapp 8 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Die gesamten deutschen Exporte legten nur um 7,4 Prozent zu. Die EU hat mit der Türkei eine Zollunion. "Industriegüter können so zollfrei von der EU in die Türkei gelangen", erklärte Felbermayr. "Weil aber die Türkei die Sanktionen der EU nicht mitmacht - was in einer Zollunion ein echtes Problem darstellt - werden von dort EU-Waren nach Russland weiterexportiert. Das ist kaum verhinderbar." Das gilt auch für Importe aus der Türkei: Diese könnten in erheblichem Ausmaß russische Vorprodukte oder Bestandteile beinhalten, ohne dass die EU viel dagegen machen könne, sagte Felbermayr.
Zusätzliche Maßnahmen
Der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte am Dienstag in Brüssel vor Beratungen mit seinem europäischen Amtskollegen, es müssten zusätzliche Maßnahmen erwogen werden, um die Umgehung von Sanktionen zu unterbinden. Es gebe Länder, die weiter Produkte nach Russland lieferten und von der Umgehung der Sanktionen profitierten. "Das kann nicht akzeptiert werden", sagte der FDP-Politiker. Der Druck auf Russland müsse hochgehalten werden. "Daran arbeiten wir."