Entdecken aus vier Blickwinkeln
Das Leben ist Veränderung. Manchmal könne wir uns auf diese Veränderung einstellen, manchmal werden wir in sie hineingezwungen. In jedem Fall heißt es, sich umzustellen, neue Lebensweisen für sich zu entdecken. Vier sehr unterschiedliche Blickwinkel auf das Entdecken des Lebens:
Stoakogler Fritz Willinghofer wird nach 43 Jahren auf den großen Bühnen einen neuen Lebensstil für sich entdecken.
Wehmut verspürt er schon ein wenig, aber er strahlt gleichzeitig eine große Zufriedenheit aus. Wenn Fritz Willinghofer über den 30. Juli 2011 spricht, dann könnte das ein Tag wie jeder andere sein. Er ist es aber nicht. Es ist der Tag, an dem eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte zu den musikalischen Geschichtsbüchern gelegt wird. Nach 43 Jahren verabschieden sich der 62-jährige Steirer und seine Brüder Hans und Reinhold als Stoakogler mit einem Konzert von den Bühnen dieser Welt.
Nach 43 Jahren, in denen die Musik und die Konzerte das Leben der Landwirte bestimmt haben, können sie nun mehr über sich und ihre Zeit verfügen. Diesen Genuss zu entdecken, ist auch das, worauf sich Fritz Willinghofer freut.
Ohne Druck all dem nachgehen zu können, wofür in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel zu wenig Zeit blieb, ist eine Aussicht, die dem Musiker ein Lächeln ins Gesicht zaubert. „Ich habe Kinder, Enkerl. Jetzt endlich habe ich mehr Zeit für die Familie. Und ein bisserl Reisen möchte ich auch noch“, sagt Willinghofer, der mehr als vier Jahrzehnte lang das Management der Stoakogler in seinen Händen hielt. Schon jetzt entdeckt er, wie wunderbar es ist, wenn die „ganz große Verpflichtung wegfällt“.
Das Loslassen fällt ihm leicht. „Ich bin glücklich, dass ich als Musiker all das erleben durfte, was ich erlebt habe. Jetzt haben wir gemeinsam entschieden, dass es Zeit ist, aufzuhören, und wir wissen, dass es die richtige Entscheidung ist.“
Das Loslassen bezieht sich bei Willinghofer nicht nur auf die Musik. Auch der Bauernhof wird an die Jungen übergeben. „Wir leben am Hof, wir arbeiten mit, aber jetzt ist die Zeit des Wechsels gekommen.“ Zu tun wisse er sich ohnedies genug und zu entdecken gebe es ja auch noch vieles. Und wenn es nur die Freude ist, nicht jeden Tag einen Termin einhalten zu müssen.
Anna Sacher wollte kein künstliches Knie - anstatt einer Operation hat sie ihre Ernährung umgestellt, heute ist sie schmerzfrei.
So ein Schwachsinn! Wie soll denn das Knie mit der Ernährung zusammenhängen?“ Diese Frage hat die Tragweinerin oft gestellt bekommen. Eine Antwort darauf hatte sie nicht, nur die Hoffnung: „Das war mir immer noch lieber als eine Operation“, sagt sie heute, sechs Jahre später. Sie hat die Ernährung als Quell der Gesundheit entdeckt.
Tierisches Eiweiß, Weißmehl und Zucker – diese drei Komponenten hat Anna Sacher aus ihren Kochbüchern gestrichen. „Nicht radikal“, sagt sie. Immerhin: Auf ihrem Speisezettel stand sieben Mal die Woche Fleisch und Käse. „Dann hab ich einfach nur noch sechs Mal in der Woche Fleisch gegessen, in der Folgewoche fünf Mal … bis ich bei null Mal war“, sagt sie. Leicht ist ihr die Umstellung nicht gefallen. „Zum einen wirst du belächelt, wenn du erzählst, was du machst, zum anderen auch, weil sich der Erfolg nicht gleich eingestellt hat. Da beginnt man zu zweifeln, aber ich bin konsequent geblieben. Rauchen aufzuhören war aber schwerer.“
Geschafft hat sie es auch, weil ihr Heilpraktiker keine spontanen Wunder versprochen hat: „Es kann bis zu einem Jahr dauern, bis sie schmerzfrei sind.“ Tatsächlich: Nach einem Jahr der tierisch eiweißfreien Vollwertkost – kein Fleisch, Wurst, Käse, Eier, Joghurt, Milch – war sie schmerzfrei und sie hat immer noch ihr Original-Knie. „Mir fehlt nichts, wenn ich Gusto habe, dann esse ich auch Mal Speck oder Schokolade“, sagt sie. Eine ihrer ersten Investitionen war eine Getreidemühle, „und ich habe zu ‚garteln‘ begonnen und mein eigenes Bio-Gemüse angebaut“.
Davon beflügelt hat sie in ihrer Pension gleich eine Ausbildung zur Gesundheitsberaterin in Deutschland – Ernährung nach Dr. Bruker – begonnen und abgeschlossen sowie gemeinsam mit der Naturpraktikerin Anita Köhne den Verein „einfach leben“ gegründet.
Von ihrer Genesung sind auch manche Schulmediziner beeindruckt. „So ein Schwachsinn“, hat jedenfalls schon lange keiner mehr gesagt.
Hildebert Schatz entdeckt als Reisender fremde Länder und Kulturen und als Student die Rechtswissenschaft an der JKU
Hildebert Schatz ist 66 Jahre alt und ein Entdecker im doppelten Sinn: Seine erste Leidenschaft ist das Reisen gemeinsam mit seiner Frau. Die OÖN haben Schatz telefonisch auf Teneriffa erreicht. „Hier bei uns ist leider das Wetter nicht besser als in Österreich“, bedauert der Pensionist, der gebürtiger Innsbrucker ist und seit dreißig Jahren in Nußdorf am Attersee wohnt. Zum Lernen eignet sich das launische Aprilwetter besser als zum Urlauben. Da kommt die zweite Leidenschaft von Schatz ins Spiel. „Ich studiere an der Johannes Kepler-Universität in der Multi-Media-Version Jus.“ Die Rechtswissenschaft habe ihn schon immer interessiert. „In meiner Jugend war es für mich nicht möglich, eine Universität zu besuchen, das hole ich jetzt nach.“
Das Multimedia-Studium ist eine Linzer Besonderheit und ermöglicht es Schatz parallel zu reisen und zu studieren, da wenig Präsenz an der Uni gefordert ist, der Lernstoff größtenteils im Selbststudium erschlossen wird und Prüfungen sogar im Ausland abgelegt werden können. „In Paris hätte sich beispielsweise ein Konsul bereit erklärt, mich eine Stunde lang zu beaufsichtigen, damit ich nicht schummle“, sagt der Senior-Student, der dann krank geworden ist und diese Klausur an der österreichischen Botschaft in Frankreich nicht ablegen konnte. Doch mit dem Lernen und den Prüfungen macht sich der Entdecker der komplexen Rechtsmaterie, der momentan im sechsten Semester steckt, ohnehin keinen Stress: „Ich bin jetzt 66 und möchte mit 73 Jahren meinen Magister ablegen.“ Im Studium interessiere ihn besonders das Thema „Privatrecht“, am kleinen Latinum hingegen hat der Student wie viele seiner Kollegen auch ein wenig zu Knabbern. Apropos Kollegen: Den typischen Unibetrieb samt vielen jungen Menschen vermisst Schatz nicht: „Im Gegenteil, da käme ich mir eher ein wenig komisch vor, das würde nicht passen“.
Ein missglückter Salto im Sportunterricht brachte Christoph Etzlstorfer ein neues Leben – und machte ihn zum Olympioniken
Als ihm seine Beine den Dienst für immer versagen, ist Christoph Etzlstorfer (48) gerade 17 Jahre alt. Ein Salto im Sportunterricht misslingt. Er schlägt Kopf voran auf, der siebte Halswirbel bricht. Das Knochenmark ist irreparabel geschädigt, eine Querschnittslähmung die Folge. „Des wird schon wieder“, sagt er sich im Krankenhaus.
Es ist wieder geworden. Wenn auch nicht so, wie er es sich zu diesem Zeitpunkt erhofft hat. „Als ich begriffen habe, dass ich nie wieder werde gehen können, hat mich das in eine Krise gestürzt“, sagt Etzlstorfer. Und dann, kaum ein halbes Jahr nach dem Unfall, stellt er sich jene Frage, die ihn aus der Depression holt: „Wie schaffe ich es, mit meinen Klassenkameraden die Matura zu machen?“ Ich habe mein Schicksal angenommen und gemerkt, dass das Leben nicht von funktionierenden Beinen abhängt. Ich habe ein Ziel gehabt.“ Er besteht die Matura, treibt sein Chemie-Studium bis zum Doktorat voran und unterrichtet nun an der Johannes Kepler Universität Linz. „Ich wollte nie von jemandem abhängig sein und viel aus eigener Kraft schaffen.“ Er beginnt seine Arme zu trainieren, um mit dem Rollstuhl besser zurechtzukommen. „So habe ich den Sport für mich entdeckt.“
Heute ist Etzlstorfer Profi in den Sportarten Leichtathletik, Handbike und Rollstuhlrugby, EM- und WM-Teilnehmer, Paralympics-Sieger und er hält Weltrekorde über 10.000 Meter und im Marathon. Seinem Unfall kann er sogar positive Seiten abgewinnen: „Sicher wäre ich sportlich sonst nicht so erfolgreich. Außerdem hat jeder sein Binkerl zu tragen. Bei manchen sieht man es, bei anderen nicht. Egal, wie schlimm man sich fühlt: Man ist nicht der Einzige, der strampeln muss.“ Sein Erfolgsgeheimnis gibt er in Vorträgen weiter: „Immer auf die Stärken konzentrieren! Man weiß meistens sehr genau, was man nicht kann. Das bringt einen aber nicht weiter. Talente sind unterschiedlich. Nicht jeder kann alles. Damit muss man sich abfinden und los starten.“