"Die lustige Witwe" tanzte zwischen Freihandel und #MeToo
Klassik am Dom: 1500 Besucher bejubelten "Die lustige Witwe" in Linz.
Der Welterfolg, den "Die lustige Witwe" ihrem Schöpfer Franz Lehár 1905 bescherte, liegt vor allem an den schlagerähnlichen Hadern, die dieser Operette eingeschrieben sind. Möglicherweise trug auch das Erotische, Freche und Anarchische seinen Teil dazu bei. Genau diese Eigenschaften der Komposition arbeitete das eigens für "Klassik am Dom" zusammengetrommelte Ensemble um die deutsche Spitzensopranistin Annette Dasch am Donnerstag in seiner konzertanten Version auf dem Linzer Domplatz heraus, ohne das musikalisch Eingängige auf bestem Niveau zu vernachlässigen. Nach gut zwei Stunden war das Publikum trotz beträchtlicher Hitze vom Charme der Darbietung eingewickelt und jubelte den Stars des Abends zu.
Und niemand schien den in der Rolle des Kanzlisten Njegus / Erzählers angekündigten Comedian Oliver Pocher zu vermissen, der wenige Tage zuvor aus familiären Gründen abgesagt hatte. Daniel Große Boymann, der zusammen mit Alexander Kuchinka das Libretto umgeschrieben und Regie geführt hat, sprang ein und geleitete ironisch zugespitzt wie raffiniert humorvoll durch den Abend. Nach wenigen Momenten hatte sich der 42-jährige Münchner aus der Rolle, eine Pocher-Kopie auf die Bühne zu stellen, befreit und seinen eigenen Ton gefunden. In keinem Moment entstand der Eindruck eines billigen Budenzaubers.
Andreas Schuller dirigierte das Symphonieorchester der Wiener Volksoper, als würde er tanzen. Wäre es kein Sitzkonzert gewesen, das Publikum hätte sich auch bald im Walzertakt mitgedreht.
Triumph für Dasch
Annette Daschs gewaltige Bühnenpräsenz, die mit ihrem pompösen Sopran Händchen hält, wickelte als reich verwitwete Hanna Glawari das Publikum und ihren vergeblich zickigen Danilo (Daniel Schmutzhard) sowieso um den Finger. Und wer wusste, dass Dasch und Schmutzhard auch im wirklichen Leben ein Paar sind, für den wuchs sich deren finaler Kuss zum sentimentalen Ereignis aus.
Landestheater-Star Theresa Grabner war eine entzückend wankelmütige, aber "anständige" Valencienne und damit Gattin des verwirrten Barons Zeta (ein guter Bass: Michael Wagner), der nichts mit dem lautmalerisch verwandten "Freihandelsabkommen zu tun hat". Derlei Dinge zu klären, war Große Boymanns Aufgabe, wie auch die sexistischen Blitze in "Wie die Weiber man behandelt" abzuleiten: "Dass sie sich das noch trauen – in Zeiten wie diesen, ich bin weg." "MeToo" – folgten ihm die um die Witwe rivalisierenden Camille de Rosillon (Martin Mitterrutzner), Vicomte Cascada (Michael Havlicek) und Saint-Brioche (Roman Martin). Mit diesem Augenzwinkern gedeiht "Die lustige Witwe" auch zeitgenössisch.
Fazit: Kurzweilige, unterhaltsame Interpretation des Lehár-Klassikers – trotz brütender Hitze
Dass der Neue Dom heutzutag noch was für die Landeszentralhauptstadt leisten darf, achwieschön!
Gleich hinter der Mozartkreuzung am Ende der Rudigierstraße.
JEEDEERMAANN