Kaprun-Doku von Andreas Gruber: „Einfach nur schreien“
Was bleibt von Kaprun? 155 Menschen starben bei dem Feuer am Kitzsteinhorn. Am 11. November jährt sich das Seilbahn-Unglück zum 10. Mal. Filmemacher Andreas Gruber spricht für eine ORF-Doku mit Angehörigen und Überlebenden und wagt mit ihnen den Blick zurück und nach vorne.
OÖN: Warum haben Sie sich entschieden, eine Doku über Kaprun zu drehen?
Gruber: Natürlich habe ich das als Welser noch hautnaher mitbekommen als viele andere. (32 Opfer stammten aus Wels, Anm.). Das Kernthema des Films ist, dass so ein dramatischer Einschnitt – wie die eigenen Kinder zu verlieren – in unserer heutigen Zeit ganz schwer zu bewältigen ist.
OÖN: Ist das nur in unserer Zeit so?
Gruber: Ich weiß nicht, ob das wirklich aktuell speziell in unserer Zeit so ist, ich weiß auch nicht, ob die Menschen das früher besser konnten, vielleicht wurde nur weniger darüber geredet. Es geht mir darum, zu erzählen, was die ganz individuellen Langzeitwirkungen bei einer solchen Katastrophe sind. Mich interessiert, wie es Menschen gelingt, wieder Frieden zu finden. Und das ist so schwierig. Wenn man im Fall von Kaprun die Presse verfolgt, bemerkt man, dass im Abstand von zwei bis drei Wochen ständig eine Meldung zu lesen ist, dass die Fakten ständig abgehandelt werden. Aus der Perspektive eines Hinterbliebenen ist das jedes Mal wieder ein Nadelstich. Dass das Thema nicht zur Ruhe kommt.
OÖN: Was haben die Hinterbliebenen erzählt?
Gruber: Dass es um ein unbeschreibliches Gefühl, das einen zerreißen mag, geht, um das Akzeptieren einer Ohnmacht. Der Prozess war ganz schwierig. Ein Vater, der als Rechtsanwalt die Hinterbliebenen vertreten hat, hat gesagt, manchmal hat er einfach nur schreien müssen, damit er das Gefühl hatte, dass wieder ein bisschen Respekt vor den Opfern da war. Ganz betroffen gemacht hat mich das Schicksal einer Frau aus Deutschland, die es geschafft hat, gemeinsam mit ihrem Mann aus dem Zug zu kommen, ihr Bruder und dessen Kind sind gestorben. Jetzt ist ihre Ehe daran zerbrochen, sie sagt, sie ist kaputt. Als Nicht-Betroffener denkt man, welches Glück, dass sie rausgekommen ist, aber in Wirklichkeit ist sie nicht mehr rausgekommen.
OÖN: Wie gehen Sie als Filmemacher an die Konfrontation mit diesen Schicksalen heran?
Gruber: Es geht darum, ein ernst gemeintes Angebot an Vertrauen aufzubauen. Ich kann mich erinnern, dass ich mit einem Elternpaar in Wien an einem Tisch gesessen bin, die beiden haben Berge von Fotos von ihrem Sohn gezeigt. Das ist nichts, wo man einfach wieder weggeht.
OÖN: Was bedeuten zehn Jahre?
Gruber: Ich traue mich nicht, zu verallgemeinern. Tendenziell habe ich aber das Gefühl, dass es bei den Hinterbliebenen fast gar nichts ist. Ein Beispiel: Ich habe Eltern gefragt, ob sie Rituale des Abschiednehmens praktizieren. Die Ehefrau sagte, sie gibt nach und nach Dinge ihres Sohnes her, als bewussten Akt. Daraufhin sagt der Mann, „Ich habe mir zwei Pullover behalten. Wenn ich am Abend alleine zu Hause bin und es ist kalt, ziehe ich die an.“ Da kann man gar nichts mehr sagen.
Info: Die Doku wird rund um den 11. November im ORF ausgestrahlt.