Tobias Moretti zieht das Ensemble zum Triumph
SALZBURG. Jedermann: Standing Ovations für die verbesserte Regie von Michael Sturminger.
Michael Sturminger hat Glück, dass er nachbessern konnte. Im vergangenen Jahr war der Regisseur kurzfristig als „Jedermann“-Feuerwehrmann eingesprungen, nachdem das seit 2013 bei den Salzburger Festspielen werkende Duo Julian Crouch und Brian Mertes wegen künstlerischer Diskrepanzen die Zusammenarbeit beendet hatte. Sturminger lockerte die beißende Anbiederung an die Gegenwart von 2017, er gestattete den Schauspielern mehr Raum, um Hugo von Hofmannsthals Knittelverse zu entfalten, ohne die Aktualisierung des mittelalterlichen Stoffes zu beschädigen. Das Publikum belohnte die Überarbeitung der Inszenierung am Sonntagabend mit Standing Ovations samt „Bravo“-Rufen – und es feierte „Jedermann“ Tobias Moretti.
Wegen angekündigten Regens (der ausblieb) wurde die Premiere erneut vom Domplatz ins Festspielhaus vertrieben. Die Konfrontation mit dem sakralen Barockbau musste also wieder die Projektion der Dom-Fassade auf der Bühnenrückwand vorgaukeln. Der Osttiroler Komponist Wolfgang Mitterer, der anstelle des 2017 engagierten Matthias Rüegg beauftragt wurde, erweist sich gleich als Glücksgriff: Er eröffnet „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ mit Glockengeläut, das sich zu schneidenden Tönen verfremdet – eine treffende Fanfare für diesen nur dem Geld hörigen Jedermann.
Moretti trägt heuer keinen Dandy-Morgenmantel, keine Goldrahmen-Sonnenbrille, sondern er kehrt zur Schlichtheit im schwarzen Anzug zurück. Er wütet zorniger gegen jene, die ihm das Geleit in den Tod verweigern. Zugleich ist seine Zerbrechlichkeit im Wahnsinn der gespenstischen Stimmen eindringlicher – und so behutsam wie diesmal sah man das Leben selten aus dem Jedermann-Körper entweichen. In seiner zweiten Saison hat sich Moretti dieses Mysterienspiel maßgeschneidert, und sein Windschatten ist breit genug, um das gesamte Ensemble zum Triumph zu ziehen.
Buhlschaft Stefanie Reinsperger muss sich nicht mehr linkisch aus einem Bett räkeln, sondern sie entsteigt einer übergroßen roten Robe. Sie ist Liebende und Selbstbestimmte im schwarzen Cocktailkleid, denn als ihr die Vertrauensfrage gestellt wird, verwandelt sie sich zur Emanzipierten, die Jedermanns Todesangst nicht mehr erfrischend findet und verschwindet. Glücklicherweise blieb ihr das zuckerlrosa Kleid von 2017 erspart.
Hemmungsloser Hedonismus
Der letzte große Wurf ist Sturminger mit der Renovierung der Tischgesellschaft gelungen. Er bahnt die Völlerei mit getanzter und gesungener Beschwörung eines hemmungslosen Hedonismus an. Keine schicken Catering-Häppchen eines Hipster-Caterers mehr, sondern hier wird die große Fallhöhe zu Jedermanns Läuterung hergestellt. Am Ende stürzen die Tische von der sich gefährlich neigenden Bühne. Beinahe wird ein Zuschauer von einem Sessel getroffen. Der grazile Tod in Gestalt von Peter Lohmeyer hat auf Stöckelschuhen zu kämpfen, auf den Beinen zu bleiben, aber keiner seiner Stolperer entweiht die Würde der edel hingestellten Figur.
Die großartige Mavie Hörbiger arbeitet den Kontrast mit ihrer Werke-Allegorie vom durchsichtigen Lufthauch zur sich aufbäumenden Gefährtin des zum Tode Geweihten noch intensiver heraus. Verschenkt bleiben Jedermanns Vettern (Hannes Flaschberger, Stephan Kreiss), die das Hereinschieben des Krankenbetts mit lieblos fallen gelassenen Kalauern verzieren.
Christoph Franken demonstriert als goldenes Mammon-Zotteltier einmal mehr die uneingeschränkte Macht des Geldes mit einer erzwungenen Jedermann-Fellatio. Edith Clever ist die edel um ihren Sohn bekümmerte Jedermann-Mutter, und als der souveräne Johannes Silberschneider (Glaube) und Hörbiger bei Jedermanns Gang ins Licht Händchen halten, erfährt die Szene sogar etwas Tröstliches.
Einzig Hanno Kofler sucht als Guter Gesell und Teufel noch immer nach diabolischer Kraft. Für Jedermanns durchtriebenen Spezi ist er zu harmlos. Als Teufel hinkt er wie ein angeschossener Monchichi mit rot leuchtendem Bauch und Schwanz über die Bühne, ohne dort jemals als Chef der Hölle anzukommen. Aber dieser Teufel holt den Abend trotzdem nicht.
Fazit: Eine geglückte Rettungsaktion des Festspiel-Tankers mit weiterer Luft nach oben. Tobias Moretti hat nach diesem Abend seinen Fixplatz im Boot der großen „Jedermann“-Darsteller.
Video: Signierstunde im Großen Festspielhaus, Johannes Silberschneider singend auf der Bühne, Nachwuchsopernsänger in der Meisterklasse von Kammersängerin Christa Ludwig und das 30-jährige Berufsjubiläum eines Galeristen - die Salzburger Festspiele bieten auch heuer wieder ein umfassendes und abwechslungsreiches Rahmenprogramm.
heute gefällt ja alles, der Spaß Gesellschaft.
Bücher gelten nichts ohne berühmte Autoren.
Theater gelten nichts ohne berühmte Akteure.
Brauchen womöglich die Kritiker die guten Kontakte zu den Berühmten?
(duck)
Wer geistiges Eigentum ängstlich zurück hält, schwächt und verarmt seine Aufnahmefähigkeit. © Mulford
Das hört sich in Salzburg aber anders an!
etwa so: „Doch ist Tobias Moretti kein betörender Liebhaber. Stefanie Reinsperger als Buhlschaft bemüht sich redlich, sie versucht's mit Zärtlichkeit, singt und tanzt mit Verve, hat es aber schwer, diesen feschen, forschen Mann zu umgarnen. Der sagt ihr ein paar liebe Worte, kann aber schnell grob werden. Tobias Moretti ist auch als Gastgeber kein herzlicher Stimmungsmacher, der seine Feste zum Brodeln bringt.
Quelle: › https://www.sn.at/salzburger-festspiele/jedermann-ist-ueberarbeitet-neue-kostueme-neue-ideen-mehr-hofmannsthal-36810448 © Salzburger Nachrichten VerlagsgesmbH & Co KG 2018“ © SN