"Die beste Kunst erwächst aus dem Schmerz"
Selten zuvor war eine Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen mit so großer Spannung erwartet worden wie die gestrige von der russischen Politikwissenschafterin und Chruschtschow-Nachfahrin Nina Chruschtschowa im Großen Festspielhaus. Die Klammer war "Kunst und Krieg, Künstler und Russland".
Intendant Markus Hinterhäuser hatte schon vor dem Auftakt zum weltgrößten Kulturfestival (172 Vorstellungen an 15 Spielstätten in 44 Tagen) zum Thema das Wort ergriffen, nachdem er dafür kritisiert worden war, den russischen Dirigenten Teodor Currentzis (immer wieder) nach Salzburg zu holen: "Er ist nicht Teil eines inneren Machtzirkels um Putin, wie es etwa Waleri Gergijew ist. Und es gibt einen nicht unwesentlichen Subtext: Wenn jemand in Russland lebt und sich gegen Putin äußert, riskiert er viele, viele Jahre Straflager." Kollektivschuld sei "wirklich abzulehnen, Ausgrenzung verschärft die ganze Situation nur weiter."
Mutige Programmierung
Nina Chruschtschowa verurteilte wenig überraschend Wladimir Putins Schreckensherrschaft, insbesondere den Angriffskrieg in der Ukraine. Kunst werde zu einem Schlachtfeld, bekomme aber auch in der Unfreiheit eine größere Bedeutung, wie etwa in der Zeit der Sowjetunion: "Kultur war unsere Freiheit. Eine geistige, wenn auch nicht physische Freiheit, die uns das sowjetische System verwehrte", sagte die 60-Jährige, die in den USA lebt und lehrt.
Der Programmierung der heurigen Festspiele mit gleich zwei Dostojewski-Opern ("Der Idiot" und "Der Spieler", Anm.) attestiert die Politikwissenschafterin Mut – angesichts der "aktuellen Praxis, Kunstwerke nur deshalb abzulehnen, weil sie von Russen geschaffen wurden". Leid und Schmerz seien auch in Russland allgegenwärtig, aber "die beste Kunst erwächst aus dem Schmerz." Und in Richtung Europa: "Die Weigerung Europas, sich mit der russischen Kultur zu befassen, wird Putin nicht dazu zwingen, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen, aber sie kappt eine potenzielle Informationsquelle über seine Ziele und Motive." Chruschtschowa kritisierte in ihrer Rede auch die Ukraine, die im Vorjahr ein "Anti-Puschkin-Gesetz" beschlossen hat, das die Vernichtung von Kulturgütern mit Bezug zur russischen und sowjetischen Geschichte in der Ukraine ermöglicht.
Versöhnlich gab sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Ansprache. Zuletzt hatte das Staatsoberhaupt bei den Bregenzer Festspielen klare Worte ("Schubladisierung", "Entweder-oder-Mentalität") gefunden. "Manche erwarten, dass der Bundespräsident a bissl was austeilt", sagte Van der Bellen, schwenkte dann aber um auf Inhalte, die der Schönheit des Landes und den positiven Eigenschaften seiner Landsleute gewidmet waren. Mit launigen Einsprengseln rief der 80-Jährige dazu auf, die Zukunft als schönen Ort zu sehen und wichtigen Themen angstfrei und voller Zuversicht zu begegnen, denn: "Wir sind Österreich, wir machen das schon."
Großartig war beim Eröffnungsakt die musikalische Begleitung durch das Mozarteum Orchester unter Elim Chan, das einen weiten musikalischen Bogen von Sergej Prokofjew über Max Bruch bis zu Nicolas Altstaedt gesponnen hat.
Zur Eröffnung ins Große Festspielhaus waren zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft gekommen, darunter auch "Jedermann" Philipp Hochmair und "Buhlschaft" Deleila Piasko. Warum der ORF bei seiner Live-Übertragung immer wieder Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz im Publikum sitzend einblendete, blieb offen. (att)
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