Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Paul Gauguin in Wien: Farbkraft, die Missbrauch an Minderjährigen überstrahlt

Von Nora Bruckmüller, 13. Oktober 2024, 05:35 Uhr
"Der Samen der Areoi" aus 1892
"Der Samen der Areoi" aus 1892 Bild: C.Jobst/Kunstforum Wien/The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florenz

Kunstforum Wien: Die neue Gauguin-Schau weicht den Schattenseiten des Starmalers aus

„Alle haben den geheimen Wunsch nach Vergewaltigung: weil durch diesen Akt männlicher Autorität der Weibwille seine volle Unverantwortlichkeit behält.“
Dieses Zitat stammt aus „Noa Noa“, einem Text des französischen Künstlers Paul Gauguin (1848–1903). Entstanden war er 1893 in Paris, quasi als Begleit- und Werbetext für seine in Französisch-Polynesien geschaffenen Werke.

Zu lesen ist dieses Zitat in der Ausstellung „Gauguin – unexpected“ im Wiener Kunstforum aber nicht. Dort fächert man die Biografie „des Superstars der modernen Malerei“ im vorletzten Raum auf. Dafür aber notierte man auf den dortigen Tafeln, dass Gauguin „im August 1893 mit 66 Gemälden und vier Francs“ nach seinem ersten Aufenthalt auf Tahiti (1891–1983), einem Kolonialgebiet im Südpazifik, in Marseille an Land gegangen war.

Mindestens zwei Kinder

Diese Beobachtung steht für das generelle Dilemma, das die Schau (Kuratorin: Evelyn Benesch) – eine Kooperation mit der Wiener Albertina – beschwert: Akribie, Mühe und Sorgsamkeit prägten die Organisation, das Zusammentragen der Werke augenscheinlich und formen die Präsentation von Gauguins Schaffen ebenso.

Die Radikalität, nach der unsere Zeit im Umgang mit (männlichen) „Genies“ verlangt, die den heutigen Konventionen nie gereichten, findet man aber nur mit der Lupe. Was einem ins Auge springt, sind die Farben, Formen und Linien, die Gauguin zum Erneuerer machten, zum Vorreiter der Abstraktion (Postimpressionismus), der Abkehr von der Illusion des Naturgetreuen und des Malens nach Gefühlen, Träumen und Instinkten.

„Tahitianerinnen beim Baden“
„Tahitianerinnen beim Baden“ Bild: C. Jobst/Kunstforum Wien/bpk | The Metropolitan Museum of Art, New York, Robert Lehman Collection, 1975

Diesen Weg kann man sehr gut in den ersten Ausstellungsräumen beschreiten, seine Gemälde aus der Bretagne (1888) weisen ihn mit Farbkraft und Reduktion. Bis sie dann auf gelbem Hintergrund prangen: die Großformate „Te aa no Areoi – Der Samen der Areoi“ und „Tahitianerinnen beim Baden“ (je 1892), gleich neben „Berglandschaft auf Tahiti“ (1891): nackte Frauen, vereinfachte, wuchtige Formen und diese satten, kontrastreichen Blau-, Grün-, Gelb- und Rottöne. Es ist eine Sprache, die Fachfremde nicht nur direkt erreicht, sondern auch packt.

Wovon sie nicht erzählt und auch die Schau nicht in drängender Klarheit: Man betrachtet diese Frauenakte anders, kennt man alle Fakten. Während seiner Jahre auf Tahiti (auch 1895–1901) und auf den Marquesas-Inseln (1901– 1903) hatte Gauguin sogenannte Vahines: minderjährige Frauen, die nach Recht und Sitte damals von Indigenen den Europäern gegeben wurden. Dabei zeugte Gauguin (mindestens) zwei Kinder: mit Pahura, 14 beim Kennenlernen, einen Sohn und mit Vaeoho (14) eine Tochter. Sind die Tahiti-Bilder wie ein Herzstück der Schau, erfährt man diesen Kontext erst im vorletzten Raum zur Biografie. Vahine wird dort als „Lebensgefährtin“ übersetzt, ohne Schönfärberei gesprochen: Es waren Missbrauchsopfer.

Der Zivilisationsflüchtling Gauguin suchte, nachdem seine Karriere als Broker (Börsencrash 1882) gescheitert war und er Frau und fünf Kinder verlassen hatte, eine „tropische Sonne, die alles erglühen lässt“. Auf den Südsee-Gemälden verzichtete er witzigerweise auf den Schattenwurf unter dieser Sonne. Bei „Gauguin – unexpected“ verhält es sich so bei den Schattenseiten der Lichtgestalt, sie hat man (fast) ausgeblendet.

Liest man anfangs, dass man ihn in Sachen „Missbrauch und Kolonialismus wie kultureller Aneignung“ neu betrachten müsse, passiert das auch bei Letzterem nicht wirklich: Einerseits wetterte Gauguin gegen die Zwangsanpassung des „Wilden“, das er suchte, durch Kolonialisten, anderseits unterwarf und nahm auch er, was sich darbot: Körper und indigene Kultur, um seine Aussteigerfantasie zu leben. Wie Schuppen fällt einem das hier nicht von den Augen.

Das Unerwartete, das man in Wien bieten will, ist, Gauguin auch als Plastiker, Druckgrafiker, Keramiker und Schreiber zu zeigen. Das gelingt mit Werken, die von feinen wie expressiven Ausführungen zeugen (u. a. Holzschnitte Suite Noa Noa, Zinkografien Suite Volpini, Schwarz auf Gelb).

Am Ende wollte man aber „kein vollständiges Urteil über den Menschen Gauguin fällen“. Doch das wäre von Beginn an das Muss gewesen. So hätte es eine Basis für neue Perspektiven und Projekte gegeben, die Gauguins Werk nicht verteufeln, aber aktualisieren: Junge, diverse Kunstschaffende hätten dazu sicher viel zu zeigen.

Paul Gauguin: Selbstbildnis aus 1885
Paul Gauguin: Selbstbildnis aus 1885 Bild: Wikicommons

Hintergrund und Infos zur Schau 

  • Paul Gauguin (1848–1903) kennt man auch in Zusammenhang mit Vincent Van Gogh: Er und Gauguin teilten sich Ende 1888 ein Haus in Arles, als sich Van Gogh Teile des linken Ohres abschnitt. Die Rolle von Gauguin im Hinblick auf diese Selbstverstümmelung ist nicht völlig geklärt.
  • Aufgewachsen ist Gauguin auch in Lima (Peru), später ging er zur Marine. Als Börsenmakler war Kunst ein Hobby. 1883 entschied sich der Autodidakt für die Malerei. Sein Leben prägten Krankheit (Syphilis, Sucht) und Geldnot. Er wurde 54.
  • „Gauguin – unexpected“: bis 19. 1. im Kunstforum Wien.
  • Im Rahmenprogramm bietet man u. a. kritische Perspektiven (Menschenrechtsworkshop, „Cancelling Culture?“),
  • Info: kunstforumwien.at
mehr aus Kultur

Sotheby ́s versteigert von Roboter gemaltes Bild

ORF präsentierte sein Programm für 2025

TV-Kritik: Politisches Gezerre um Italiens Literatur

Neues Gesetz offenbart weit höhere öffentliche Werbeausgaben

Autorin
Nora Bruckmüller
Redakteurin Kultur
Nora Bruckmüller
Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

5  Kommentare
5  Kommentare
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
soistes (2.663 Kommentare)
am 13.10.2024 17:33

Soll keine Ausrde sein, aber......Das war schon zu Zeiten der Entdecker üblich.....und wurde auch untereinander bei diversen Naturvölkern so gehandhabt. Nicht zuletzt um Inzucht einzubremsen.

Diese Mädchen (Unterschied ca.5 Jahre) waren aber auch viel früher reif als z.B. die Europäerinnen.
Ein wenig Anthropologie könnte nicht schaden.

lädt ...
melden
antworten
tulipa (3.628 Kommentare)
am 13.10.2024 14:39

auf gut Deutsch: der Mann konnte malen, war aber ein unzuverlässiger, selbstsüchtiger Kotzbrocken.

lädt ...
melden
antworten
Gugelbua (32.827 Kommentare)
am 13.10.2024 11:27

bei so manchen Berühmtheiten wird die Schattenseite mit zweierlei Maß gemessen 😑

lädt ...
melden
antworten
vjeverica (4.361 Kommentare)
am 13.10.2024 09:43

Und in Linz wurde die Jahn-Schule umgetauft.
Usw.usf. ...

Eigentlich dürfte man diesem Menschen auch keine Bühne mehr geben, ihn nicht durch diese Ausstellung ehren?
Ach jaaaa - andere Zeiten, andere Einstellung.

Müsste aber auch für Leute wie den Resl oder den Jahn etc. auch gelten, mMn.
Maria Theresia hatte ja auch so ihre Einstellung gegenüber anderen Religionen, gegenüber Prostituierten etc. Und die Dame wird heute noch verehrt. Und nicht nur diese Herrscherin.

Ich wäre überhaupt dafür, dass keinerlei Wege, Plzäte, Straßen nach Menschen benannt werden - man erspart dadurch zukünftigen Generationen, dass sie die mal umbenennen müssen. Weil es könnte die jeweilige Person ja irgendwan einmal ....

lädt ...
melden
antworten
santabag (7.066 Kommentare)
am 13.10.2024 07:20

"Dafür aber notierte man auf den dortigen Tafeln, dass Gauguin „im August 1893 mit 66 Gemälden und vier Francs“ nach seinem ersten Aufenthalt auf Tahiti (1891–1983), einem Kolonialgebiet im Südpazifik, in Marseille an Land gegangen war."

Der war aber ganz schön lange auf Tahiti. Fast hätte ich ihn treffen können, als ich 1982 dort war ...

lädt ...
melden
antworten
Aktuelle Meldungen