Die tiefen Wurzeln des prächtigen Grün
Von Felsenmalerei bis Impressionismus: Wie der Wald große Epochen und Wendepunkte in der Kunst prägte.
Seit Menschengedenken ziehen sie uns an: der Wald und seine Bäume. Sie verheißen Prächtiges, Raum zum Atmen, gar Heiliges. So verewigten unsere Vorfahren bereits vor Tausenden Jahren Bäume in steinalten Malereien an Felswänden im Nordosten Brasiliens. Sie zeigen den prähistorischen Alltag, festgehalten vor bestimmt mehr als 10.000 Jahren: Tänze, Sex, Jagd und "Riten um einen Baum", was die F.A.Z. 2019 veranlasste, zu fragen: "Haben unsere Vorfahren womöglich Bäume angebetet?"
In den Hochzeiten der Kunst und an ihren Wendepunkten taucht der Wald verlässlich auf. Immer dann, wenn sie die Natur des Menschen und künstlerische Konventionen hinterfragte und neu feierte.
Ein Orangenhain gibt etwa dem "Garten der Venus" in einem Meisterwerk der bis heute nachhallenden florentinischen Renaissance einen malerischen Rahmen – in Sandro Botticellis gut zwei Mal drei Meter großem Monumentalwerk La Primavera (um 1482, Tempera auf Holz). Es war wohl ein Auftragswerk der einflussreichen Medici anlässlich einer Vermählung. So soll der Wald Fruchtbarkeit verheißen. Mehr als 400 Jahre später wird sich dieses farbkräftige Motiv im Dschungel-Zyklus des Franzosen Henri Rousseau (1844–1910) wiederholen – etwa im Werk Der Traum. Es entstand im Todesjahr des Künstlers, der als Wegbereiter des Surrealismus definiert wurde.
Ein Wald für eine Generation
Schon früher drückte der Wald mehr aus als nach Perfektion strebende Wiedergabe der Umwelt: Caspar David Friedrich (1774– 1840), Star der deutschen Romantik, schuf hundert Jahre vor Rousseau den Zyklus Der Morgen, Der Mittag, Der Nachmittag und Der Abend (1821/22), in dem ein Wäldchen die Vergänglichkeit (des Tages) in schimmernden Lichtstimmungen aufzeigt. Es war eine Kunst, die sich mehr der Natur und den Empfindungen zuwandte.
Nur ein Jahrzehnt später begann ein Wald in Frankreich zur Inspirationsquelle einer ganzen Generation zu werden: der Forêt de Fontainebleau. Gut 70 Kilometer südlich von Paris, wurde er zum kreativen Zentrum der Schule von Barbizon, einer Malerkolonie, gegründet um 1830 von Théodore Rousseau (1812–1867). Wiewohl etwa sein Ölgemälde "Die Eichen" (1852) als realistisch gilt, ebnete seine Schule den Weg zu einer der größten Emanzipationen in der Malerei, dem Impressionismus. Die Ideallinie gibt nicht Äußeres vor, sondern dessen Eindruck auf den Ausführenden. Der wohl Größte, der diesen Stil und die Kunst insgesamt nahbar machte, war der Franzose Claude Monet (1840–1926). Seine prägendsten Arbeiten (u. a. die Seerosen-Serie, 1920er) entstanden erst zur Jahrhundertwende. Sein Werk Le Forêt Fontainebleau (1865), das durch einen Besuch des berühmten Waldes entstand, belegt jedoch bereits seinen scharfen Sinn für Licht und Schatten.
Auch der von inneren Dämonen geplagte Vincent van Gogh (1853–1890) suchte und fand in der Natur ein Echo, speziell in seinen letzten Jahren. Der Irrenhausgarten in Saint-Rémy (1888) zeigt die Pinienbäume der Einrichtung, in die er sich nach Verlust seines Ohres begeben hatte. Am Tag, an dem sich van Gogh umbrachte (29. Juli 1890), begann er noch das Werk Baumwurzeln – Abstrahiertes, inspiriert von einem bewaldeten Hügelchen mit Strunk.
Und die Frauen?
Wie das Motiv des Waldes unsere Natur offenbart, veranschaulicht es auch jene des bildnerischen Kanons: Männer dominieren ihn. Um die Frauen, die dieses archaische Motiv aufnahmen, zu finden, muss man lediglich genau hinsehen. In Der kleine Hirsch (1946) der Mexikanerin Frida Kahlo (1907– 1954) entdeckt man dabei ein nur so vor christlicher Symbolkraft strotzendes Werk, das für viele als Manifestation ihrer körperlichen und seelischen Leiden gilt.
Seit 1981 umarmt die japanische Künstlerin Yoko Ono (88) mit ihrer länderübergreifenden Installation wish tree ihr Publikum. Ein global verstreuter Wald entstand dabei, an dessen Zweige Wunschzettel geheftet wurden. 1997/98 hüllte das inzwischen verstorbene Paar Jeanne-Claude und Christo 178 Bäume in der Schweiz in schimmerndes Polyestergewebe von 55.000 m². Eine Hommage an eine der wertvollsten Ressourcen der Welt. Das Material wurde natürlich recycelt.
Oberösterreichische Künstler und Künstlerinnen und der Wald
Gerhard Brandls Werk prägt immer wieder die Natur. Von 2014 bis 2017 realisierte der gebürtige Linzer und das Mitglied der Welser Künstlergilde das Foto-Projekt Adam (um die 30 Landschaftsporträts). Es ist eine Suche nach Unversehrtheit und Idylle, der Mensch – Brandl selbst als Adam – soll erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden, was den Blick für das Verhältnis von Mensch und Natur öffnet (im Bild oben verschwindet Adam links der Mitte). Von 2015 bis 2019 verfolgte er die Reihe land_cuts (Grafik auf Papier), darin suchte der 63-Jährige nach Brüchen in der Umwelt, die sie durch ihre Inbesitznahme als Nutzlandschaft erfahren hat.
Katharina Acht stand bis vor Kurzem der Vereinigung der Kunstschaffenden Oberösterreichs vor und ist als Kuratorin des Nextcomic-Festivals Linz bekannt. In ihrer eigenen Arbeit verfolgt die aus Ohlsdorf stammende und in Linz arbeitende Künstlerin (Jg. 1982) die fotografische Auseinandersetzung mit der Natur.
Für das Projekt Linien umwickelte sie Baumstämme in Wäldern mit weißen Stoffbahnen, die sich aus Sicht des Betrachters zu einer Linie vereinen. So entsteht aus dem Moment der Irritation einer der Fokussierung auf die Umwelt. Unterwegs war Acht dafür unter anderem auf der Giselawarte, in der Scharten und im Tannermoor.