Frauenhäuser sind vielen Betroffenen noch unbekannt
WIEN. Im vergangenen Jahr sind 24.330 Opfer von familiärer Gewalt in Österreich in Einrichtungen betreut worden.
79 Prozent waren Frauen und Mädchen. 1.148 Personen – 571 Frauen und 577 Kinder – haben in den autonomen Frauenhäusern Unterschlupf gefunden. Es gibt aber immer noch Betroffene, die die Einrichtung nicht kennen, sagten Expertinnen und ein Experte bei einer Pressekonferenz in Wien. Viele erfahren von der Einrichtung erst durch Behörden wie das Sozialamt.
- Leitartikel zum Thema: Mit Hinschauen allein ist es nicht getan
"Gewalt zu erkennen und zu benennen, ist ein Prozess", sagte Maja Markanović-Riedl, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF). "Gewalt ist ja nicht, ich lerne jemanden kennen und der schlägt mich am nächsten Tag. Sondern das beginnt ganz langsam und schleichend. Und damit beginnt auch, sich die Wahrnehmung der Frauen zu verändern." Erst wenn Betroffene in der Betreuung seien, würden sie die zuvor passierten Grenzüberschreitungen erkennen. Das Thema sei "extrem schwierig und mit Scham besetzt. Wer will schon von sich sagen, dass er in einer Gewaltbeziehung lebt." Sich in dieser Situation Hilfe zu holen, das ist von den Frauen "sehr mutig und sehr stark".
Allerdings habe sich das Bewusstsein für das Thema in der Bevölkerung in letzter Zeit erhöht, sagte Elisabeth Cinatl, Vorsitzende des Netzwerks österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Bei der Frauenhelpline würden etwa Angehörige, Kolleginnen oder Kollegen sowie Freunde anrufen, die sich Sorgen machen und fragen, was sie tun könnten. Das Umfeld zu sensibilisieren, sei "eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagte Cinatl.
Gewalt oft in eigenen vier Wänden
Gewalt an Frauen findet oft im "trauten Heim" statt, sagte Doris Schmidauer, Ehefrau von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die seit Jahren auf diese Thematik aufmerksam macht. Die Pressekonferenz wurde deshalb in einer kleinen Privatwohnung in Floridsdorf abgehalten. "Das ist eigentlich der Ort, der für uns alle ein Ort der Privatsphäre ist, ein Rückzugsort, wo wir uns erholen können, wo wir einander vertrauen können im familiären Kreis, wo wir gemeinsam essen, wenn ein anstrengender Tag zu Ende gegangen ist, wo wir in einer Umgebung sind, wo wir loslassen können und uns wohlfühlen", sagte Schmidauer. "Und leider ist für viel zu viele Frauen in Österreich das eigene Zuhause nicht der Ort der Wärme und der Sicherheit", sondern dieser geschlossene Raum sei ein "Ort der ständigen Gefahr". Bereits in diesem Jahr habe es in Österreich 27 Femizide und 39 Fälle schwerer Gewalt an Frauen gegeben.
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"Wir leben in einer Gesellschaft, in der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen noch immer nicht herrscht", sagte die Politikwissenschafterin. Die patriarchalen Strukturen, das Missverhältnis und das Machtgefälle führen zur Entwertung von Frauen und können in letzter Konsequenz auch zu physischer und psychischer Gewalt führen. "Jeder dieser Täter war einmal ein kleiner Bub und jede dieser Frauen, die heutigen Opfer, war einmal ein kleines Mädchen", so Schmidauer anlässlich der "16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen" und dem "Tag der Kinderrechte" am 20 November. Viele von ihnen hätten in ihrer Kindheit bereits Gewalterfahrungen gemacht.
Opfer von heute sind Täter von morgen
"Wir sind als Gesellschaft verpflichtet, diese Kinder nicht zurückzulassen und ihnen Zuwendung zukommen zu lassen, damit auch sie die Chance haben auf ein gutes und erfülltes Leben", ist Schmidauer überzeugt. Deshalb sei es so wichtig, in die entsprechenden Einrichtungen zu investieren. "Wenn wir das nicht gewährleisten, dann riskieren wir eines, nämlich dass die Opfer von heute, diese Kinder, die Täter und Opfer von morgen werden." Jede Frau habe das Recht auf ein gewaltfreies Leben.
Von Gewalt Betroffene leben in einer permanenten Situation der Wachsamkeit. Eine Klientin von Cinatl berichtete, dass sie schon gewusst habe, dass "heute etwas passiert, wenn er nur den Schlüssel in die Wohnungstür gesteckt hat". Wenn solche Betroffene ins Frauenhaus flüchten, haben sie meist nichts bei sich, außer das was sie am Leib tragen. Ihnen wird dort ein Ort der Ruhe und Sicherheit geboten. Sie können unbegrenzt bleiben, manche kommen immer wieder, so Cinatl. Die Frauenhäuser bieten aber auch Nachbetreuungen an und helfen den Betroffenen beim Auszug in ihr neues Leben.
Die Unterdrückung der Frauen würde auf einer vermeintlich naturgegebenen Geschlechterhierarchie basieren, die den Nährboden für Gewalt gegen Frauen bildet, sagte Jan Wunderlich vom Anti-Gewalt-Projekt StoP (Stadtteile ohne Partnergewalt). "Laut der Leipziger Autoritarismusstudie hat jeder dritte Mann und jede fünfte Frau ein geschlossen sexistisches oder anti-feministisches Weltbild." Das würde bedeuten, dass die Rolle der Frau auf die Rolle der Ehefrau und Mutter reduziert werde oder sich als Mann Hilfe zu holen, als nicht männlich gilt. Der Appell der Vortragenden bei der Pressekonferenz an die neue Regierung ist vor allem: "Sparen Sie nicht am Gewaltschutz."
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