Sprengsätze an Fahrzeugen gezündet: Jetzt ermittelt der Staatsschutz
LEIBNITZ. An zwei Auto-Unterböden in der Südsteiermark sind Freitagabend Sprengsätze detoniert, wobei aber niemand verletzt wurde. Der Staatsschutz ermittelt.
Eine unbekannte Person hatte die Sprengsätze angebracht, während die Besitzer der Fahrzeuge bei einer Gebetsstunde der Glaubensgemeinschaft "Zeugen Jehovas" waren. Ob ein Zusammenhang besteht, werde noch geprüft.
Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) hat eine eigene Ermittlungsgruppe eingerichtet. Kriminalisten des Landeskriminalamtes (LKA) Steiermark, Sprengstoff-Experten der Polizei sowie der Entschärfungsdienst nahmen ebenfalls die Ermittlungen auf. Eine Tatortarbeit und die Spurensicherung wurden noch in der Nacht durchgeführt, hieß es am Samstag.
Video dazu:
Die Autobesitzer, ein Mann und eine Frau, hatten ihre Fahrzeuge zwischen 18.45 Uhr und 21 Uhr auf einem Schotterparkplatz nahe des Gebetsraums in Leibnitz abgestellt. Laut Polizeisprecher Markus Lamb sollen sie dort offenbar auch parken dürfen. Noch während die Mitglieder der Zeugen Jehovas gebetet haben, hätten sie einen lauten Knall von draußen wahrgenommen, diesen aber nicht einordnen können, sagte Lamb auf APA-Nachfrage. Als dann die Frau hinaus zu ihrem Wagen ging, fielen ihr herumliegende Teile bei ihrem Auto auf.
Etwa eine Stunde später, gegen 21 Uhr, stieg der Mann in sein Fahrzeug und fuhr Richtung nach Hause los. Nach wenigen Kilometern detonierte auch bei ihm ein am Unterboden montierten Sprengsatz. Lamb zufolge blieb der Lenker unverletzt, doch das sei nur "Glück gewesen". Erst danach war klar, dass auch beim Auto der Frau ein Sprengsatz unter dem Wagen detoniert sein dürfte. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
Motiv noch unklar
Während die Ermittler nun sämtliche Bauteile der Sprengsätze unter die Lupe nehmen, werden potenziell gefährdete Einrichtungen sensibilisiert und polizeilich verstärkt überwacht, hieß es seitens der Ermittler. Die Motivlage sei derzeit völlig offen. Wie der "Kurier" berichtete, soll es sich bei den Sprengsätzen um Rohrbomben gehandelt haben. Das wollte die Polizei aber aus ermittlungstaktischen Gründen weder bestätigen noch dementieren. Auch zu einer etwaigen Fehlkonstruktion zwischen Zünder und Sprengstoff, die eine Katastrophe verhindert haben soll, wollte man vorerst nichts bekannt geben.
Zusätzliche Brisanz erhält der Vorfall dadurch, dass seit Freitag und noch bis inklusive Sonntag der Sommerkongress der "Zeugen" im Wiener Happel-Stadion stattfindet. Laut Polizeiangaben versammeln sich dort rund 9.000 Gläubige. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden entsprechend verstärkt, hieß es Samstagnachmittag auf APA-Anfrage. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist eingebunden. Stattgefunden hat das Treffen am Samstag wie geplant, auch am Sonntag soll es weitergeführt werden.
Michael Schumacher, SPÖ-Bürgermeister von Leibnitz, war im Gespräch mit der APA geschockt: "Das überrascht jeden und man ist erschüttert. Die Region ist bekannt für's Wohlfühlen und nun sind wir durch ein Jahrhunderthochwasser schon so gebeutelt, als Gesellschaft und als Region, und dann wird so etwas noch draufgesetzt. Das macht sprach- und fassungslos." Die Zeugen Jehovas seien in Leibnitz eine völlig unauffällige Glaubensgemeinschaft und noch nie negativ aufgefallen. Schumacher sei kein Konflikt im Zusammenhang mit den Zeugen Jehovas in seiner Stadtgemeinde näher gebracht worden.
Die Zeugen Jehovas sind nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr im deutschsprachigen Raum mit einer gegen sie gerichteten Gewaltaktion konfrontiert. Bei einem Amoklauf durch ein ehemaliges Mitglied starben im März in Hamburg sieben Zeugen - darunter ein ungeborenes Kind - und der Täter selbst. Nunmehr wurden im steirischen Leibnitz während einer Gebetsstunde Bomben an Fahrzeugen von zwei Mitgliedern angebracht. Verletzt wurde diesmal niemand.
Anerkannte Kirche
Die Zeugen Jehovas sind in Österreich eine staatlich anerkannte Kirche. Nach über 30 Jahren Einsatz hatte das zuständige Kultusamt im Mai 2009 der damals fünftgrößten Glaubensgemeinschaft in Österreich grünes Licht für den Status als Religionsgemeinschaft gegeben. Dem vorausgegangen war ein entsprechender Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Nach eigenen Angaben haben die Zeugen gut 22.000 aktive Mitglieder in Österreich, die stärkste Gruppierung davon in Oberösterreich. In der Steiermark sind knapp 2.800 Mitglieder vermerkt. Die Treffen der Kirche finden in der Regel in so genannten Königreichssälen statt. Davon gibt es hierzulande 160. Seit Freitag und noch bis Sonntag findet, was dem Anschlag zusätzliche Brisanz gibt, der Sommerkongress der Zeugen im Wiener Ernst Happel-Stadion statt.
Grundlage der Lehre der Zeugen Jehovas ist der aus der Bibel abgeleitete "Plan Gottes mit der Menschheit". Dem "allmächtigen Gott und Schöpfer" Jehova oder Jahwe, sind seine Zeugen zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Als "wahre Christen" müssen sie Zeugnis für ihren Gott ablegen und die Botschaft von seinem Königreich predigen.
Anders als die großen christlichen Religionen glauben die Zeugen Jehovas nicht, dass die Seele des Menschen nach seinem Tod weiterlebt. Er habe keine, sondern sei die Seele selbst. Den Weltuntergang haben die Zeugen Jehovas mehrfach angekündigt. Weil sie Politik und Religion für unvereinbar halten, nehmen sie nicht an Wahlen teil. Gleiches gilt für Demonstrationen.
Bekannt sind die Zeugen Jehovas vor allem wegen ihrer stark ausgeprägten Missionstätigkeit, bei der sie von Haus zu Haus ziehen und ihre Zeitschriften "Der Wachtturm" und "Erwachet!" an die Frau und den Mann bringen wollen. Finanziert werden die Zeugen Jehovas mit - nach eigenen Angaben freiwilligen - Spenden.
Ablehnung von Bluttransfusionen
Der Glaube greift in allen Bereichen stark in das Leben der Anhänger ein. Aufmerksamkeit erregen die Zeugen Jehovas auch medial immer wieder wegen der Ablehnung von Bluttransfusionen, was mitunter lebensbedrohlich sein kann. Rauchen dürfen Zeugen übrigens auch nicht. Privat bleibt man gerne unter sich. Von Heiraten mit Personen, die keine Zeugen sind, wird abgeraten. Die Ehe ist heilig, Scheidungen nur bei Ehebruch vorgesehen.
Gegründet wurde die Gemeinschaft von dem US-Amerikaner Charles Taze Russell Ende des 19. Jahrhunderts als Verlagsgesellschaft der Bibelforscher. 1911 kam Russell erstmals für einen Vortrag nach Wien. Regelmäßige Vorträge gab es ab 1921, ein Jahr später wurde die Tätigkeit auf andere österreichische Städte ausgedehnt.
Im Jahr 1938 gab es in Österreich 550 aktive Zeugen Jehovas. Wegen der Verweigerung des Hitlergrußes und des Wehrdienstes kam es zu Verfolgungen durch das Hitler-Regime, etwa ein Viertel der Anhänger der Glaubensgemeinschaft wurde getötet. Nach dem Krieg nahmen die Zeugen Jehovas ihre organisierte Tätigkeit wieder auf.
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