Es gibt keine FPÖ ohne Kickl
Dass die Herbertfrage Österreichs Parteipolitik mehr als alles andere bewegt, wäre eine zu schlampige Ableitung eines Zitats. Denn in Goethes "Faust" gilt das Interesse "Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?" der Titelfigur. Warum der abgeleitete Begriff nicht inhaltsbezogen benannt wird, sondern nach der Neugierigen "Gretchenfrage" heißt, wissen weder Brockhaus noch Wikipedia. Doch warum die austropolitische Gretchenfrage blaustichiger denn je ist, wissen die Meinungsforscher.
Seit Ende 2022 liegt die FPÖ in allen Umfragen zur nächsten Nationalratswahl voran. In diesen 20 Monaten wurden 120 solche Momentaufnahmen veröffentlicht. Die FPÖ ist unterdessen nach Oberösterreich auch in Niederösterreich und Salzburg in Landesregierungskoalitionen eingezogen und hat mit der Wahl zum Europäischen Parlament erstmals bei einer bundesweiten Abstimmung Rang eins erreicht.
Dadurch wird die Partei zwar trotzdem keine Religion, aber die Gretchenfrage an ihre Gegner berechtigt. Das ist laut Lexikon-Definition eine "unangenehme, oft peinliche, aber für eine bestimmte Entscheidung wesentliche Erkundung". Im aktuellen Fall vor allem für das Vorab-Wissen, ob ÖVP, SPÖ, Grüne, Neos und wer immer sonst den Einzug ins Parlament schafft, eine Koalition mit der FPÖ bilden werden. Falls alle anderen das verneinen, kann sie trotz allfälligen Wahlsiegs nicht regieren.
Das Nein der SPÖ ist trotz burgenländischer Abweichung glaubwürdig, weil eine solche Partnerschaft die österreichische Sozialdemokratie endgültig zerreißen würde. Die klaren Absagen von Grünen und Neos sind ideologisch einleuchtend und machtpolitisch respektabel. Statt in theoretisch möglichen drei Dreierkoalitionen wollen sie nur in der verbleibenden das Zünglein an der schwarz-roten Waage sein. Nur die ÖVP bleibt unklar. Um keine Wähler zu verprellen, die eine Regierung ohne FPÖ wollen, weicht sie der Gretchenfrage aus und sagt: Nicht mit Herbert Kickl. Sie vermittelt unterschwellig, dass Salzburg, Nieder- und Oberösterreich trotz ihrer Koalitionen – frei vom blauen Bundesparteichef – funktionieren. Doch die Ansage wirkt auch als Signal, dass es eine böse und eine gute FPÖ gebe. Das aber ist falsch. Seit der harte bis radikale Rechtskurs von Herbert Kickl die Partei zum Umfragesieger macht, steht sie geschlossen hinter ihm. Daran vermögen auch Wahlresultate nichts zu ändern, die schlechter als per Meinungsforschung geschürte Hoffnungen waren. So wie nach Jörg Haider niemand erwartet hätte, dass Heinz-Christian Strache dessen Zugkraft erreicht, wird Nachfolger Kickl unterschätzt – und auch, wie gefestigt die Partei hinter ihrem Chef ist.
Wenn die ÖVP andeutet, es gebe noch eine FPÖ ohne Kickl, ist sie auf dem Holzweg oder führt dorthin. Wer die ÖVP erwägt, sollte vor der Wahl klar wissen, dass sie ohne Wenn und Aber mit der FPÖ koalieren würde – oder auch nicht. Wir warten.
Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.
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