Barfüßige Geigerin: Konzertsaal ist kein Wellnessraum
Selbst auf der Bühne spielt oder vielmehr tanzt sie, am liebsten barfuß mit ihrer Geige: „Weil der Kopf immer im Himmel ist, muss man ein bisschen Wurzeln schlagen“, sagt Patricia Kopatchinskaja.
Auf der Bühne zu stehen, sei „ein Moment des Glücks, wenn alles gut geht“. Rührt daher diese unbändige Energie, die sie dabei versprüht? „Man hat das Unbegreifliche plötzlich um sich oder in sich drin. Das ist diese Energie, die sich nicht in Worten fassen lässt. Ich trage sie in mir, aber sie gehört nicht mir. Sie muss durch die Hand des Komponisten, durch meine Klänge in die Herzen der Zuhörer geführt werden.“
Musik lebt vom Risiko
„Man muss sich verwundbar machen“ als Interpret, sprich „zu einem kreativen Medium, das die Musik zum Leben zu erweckt“. Wofür es nicht immer schöner Klänge bedarf, im Gegenteil. Aber: „Ein Klang muss persönlich sein, eine Bedeutung haben, etwas sagen, eine Botschaft mit sich tragen. Die einfachen Klänge in Supermärkten oder in Liften, das berührt uns nicht. Das macht uns taub.“
Dass die Tochter einer Geigerin und eines Zymbal-Spielers (Hackbrett) selbst Musikerin werden würde, war ihr immer schon „absolut klar. Da gab es von mir aus nie einen Zweifel.“ Aufgewachsen in Moldawien emigrierte ihre Familie 1989 nach Wien, wo sie später auch Komposition studierte. Heute lebt die Mutter einer Tochter in der Schweiz. Offen spricht sie über die Zerrissenheit, „als Mutter Schuldgefühle mit sich zu tragen und doch im Dienste der Musik wie in einem Rausch sein Leben lang dem Klang zu folgen, diesem Bedürfnis, immer wieder in den Zustand zu kommen, der nur auf der Bühne entsteht.“ Einem Ort der Gefahren.
Die Musik lebt auch vom Risiko: „Man befindet sich immer mit einem Bein im Desaster. Es kann jede Sekunde etwas schiefgehen. Man kann sich diese Aufregung gar nicht vorstellen, es ist wie in einem Zoom. Aber ich finde es ganz wichtig, dass man dem Interpreten die Fehler gönnt. Wir sind keine Schallplatten, keine Maschinen. Wenn wir perfekt spielen sollen, müssen wir immer gleich spielen. Da öffnet sich keine innere Welt, das ist ein manuelles Abspielen einer einbetonierten, musealen Interpretation, die stinklangweilig ist.“ Aber die Funken sprühen, wenn sie mit Kollegen Kammermusik spielt. Etwa mit Klavierpartner Fazil Say, der Cellistin Sol Gabetta oder der Pianistin Khatia Buniatishvili. „Ich suche nicht unbedingt gleiche Musiker. Die gibt es ja nicht. Wichtig ist, dass wir das gleiche Ziel haben.“ An das viele Wege führen. „Ich habe es gern, wenn ich nicht mal selbst weiß, was passiert.“ Zur Musik gehört das Überraschende.
Musik ist (k)ein Vergnügen
Und das Neue, Unbekannte. „Wieso hört man nicht gerne zeitgenössische Musik? Wir lesen ja auch nicht zweihundert Jahre alte Zeitungen“, sogar durchs Telefon sprühen die Energie-Funken: „Ich glaube, dass das an der Bequemlichkeit liegt. Wieso ist man so bequem geworden, dass man in einem Konzert nicht gestört und nicht herausgefordert werden will, sondern nur sein Vergnügen sucht? Ein Konzertsaal ist kein Wellnessraum. Kunst muss aktuell sein, eben nicht vertraut, eine brutale Konfrontation mit Dingen, die uns auch schockieren, provozieren, aufwecken könnten.“
Unbesitzbare Musik
Immer wieder neugierig zu bleiben, neue Wege zu suchen, das ist ihre Devise. Um ihre Zuhörer mitzunehmen „in meine Phantasiewelt, auch wenn sie nicht so ist wie ihre. Ich möchte ihnen zeigen, was ich in den Stücken sehe und spüre.“ Mit Prokofjews zweitem Violinkonzert, dem London Philharmonic Orchestra und Dirigent Vladimir Jurowski will sie heute im Brucknerhaus ihr Publikum „aus der Realität heraus in eine surreale Märchenwelt führen, wo aber alles mechanisch ist. Auf einer Suche nach der Wahrheit. Der Kampf des Menschen, die Liebesmelodien, das finde ich immer wieder faszinierend bei Prokofjew“.
Immer wieder heißt auch immer wieder etwas anders: „Wir versuchen, die Musik durch CDs zu besitzen. Aber das ist ein Widerspruch an sich. Musik kann man nicht besitzen, die hört man einmal und dann behält man sie als Erinnerung im Herzen, mehr als im Gehör.“ Musik ist eben etwas Einmaliges.
Hörproben:
Patricia Kopatchinskaja spielt Tschaikowsky
Patricia Kopatchinskaja spielt Beethoven (Kreuzer Sonate), Fazil Say am Piano
Patricia Kopatchinskaja spielt Beethoven
Doku über Patricia Kopatchinskaja