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Der Übervater hat den Tod im Nacken und den Krebs im Kiefer

Von Nora Bruckmüller, 19. Dezember 2024, 00:04 Uhr
Der Übervater hat den Tod im Nacken und den Krebs im Kiefer
Anthony Hopkins als Freud X Verleih/Filmladen

"Ich sterbe. Ich verrotte. Ich verfalle." Mit diesen furios vorgetragen Worten, der Verleugnung richtiggehend "ins Gesicht" spuckend, nähert sich Anthony Hopkins dem Gipfel seiner darstellerischen Beweisführung an: Auch Sigmund Freud, (Über-)Vater der Psychoanalyse (1856–1939), zeigt Nerven, verliert jede kühle Rationalität und ergibt sich zitternd der Emotion.

Speziell im finalen dritten Akt des Kinofilms "Freud – Jenseits des Glaubens" gelingt es dem 86-jährigen Oscar-Sieger ("Das Schweigen der Lämmer"), den streitbaren Wiener Pionier vollends vom Nimbus des "Gottgleichen" zu befreien – auch Freud ist nur ein fehlbarer Mensch, der im September 1939 den Tod (23. September) im Nacken und den Krebs im Kiefer seines sterblichen Körpers hat. Hopkins gelingen sogar zwei weitere Wahrheitsbeweise. Erstens: Er ist ein zeitloses Ereignis. Zweitens heißt das aber nicht, dass der britische Sir jeden Makel eines Films jederzeit ausgleichen kann, obwohl er schon Linderung bietet.

"Freud – Jenseits des Glaubens" führt an einem historischen Tag, am 3. September 1939, ins Londoner Haus der Freuds. Premier Chamberlain verkündet, dass Großbritannien im Krieg gegen Hitler ist (Poleneinmarsch: 1. September 1939). In der Arbeit des US-Regisseurs und Co-Drehbuchautors Matt Brown bekommt Freud Besuch – von einem ebenbürtigen Denker: C. S. Lewis (1898–1963), dem Autor von "Die Chroniken von Narnia". Ihn gibt Matthew Goode (46, "The Imitation Game"). Es stimmt, dass Freud noch einen Gelehrten in der Zufluchtsstätte der jüdischen Familie empfing, aber Lewis war es nicht. Das fiktive Treffen beider fand seinen Weg von der Eliteuni Harvard in die Kunst, zuerst ins Theater: Das Stück "Freud’s Last Session" (2009) basiert auf Vorlesungen von Freuds atheistischen Theorien, die mit den Glaubensthesen des Christen Lewis ergänzt und konterkariert wurden.

Angesichts der Werbetexte zum Film ("Gibt es einen Gott?") ist es klar, zu meinen, man würde gleich in ein Kammerspiel zum Thema eintauchen, bei dem es zur Sache geht und das Haus zur Arena wird.

Warten auf mehr von Gott

Nur tut es das anfangs bloß im Spiel – Goode stellt den ausgeklügelten wie instinkthaften Gesten und Manierismen von Hopkins fein abgerundete Eleganz entgegen.

Inhaltlich geht es erst ab 40 Minuten heiß her. Davor erlebt man zähes, langwieriges Säbelrasseln, bei dem man der verengten Erwartung entsprechend auf Glaubensfragen hofft. Das Griffigste jedoch bleibt Freuds Ansicht, christlicher Glaube sei eine Obsession, die sich aus der kindlichen Hoffnung speist, im (Himmels-)Vater Trost und Hilfe zu finden. Obwohl auf gewitzte Art das Zweifeln und Leiden an einer "Gottesgestalt" auf der Ebene von Freud und Tochter Anna (sehr gut: Liv Lisa Fries) greifbar wird, ist Gott aber nicht das eine Thema, sondern eines vieler Themen: Verwundbarkeit, Sex, Lust, Scham, Liebe, Familie, Endgültigkeit und Angst. Angesichts des Krieges werden sie nur drängender. Unterm Strich bleibt schon ein schön dichtes, wortgewaltiges Drama. Nur wäre "Freuds letzte Sitzung" in Sachen Erwartungshaltung ein besserer, weil offener, wahrer Titel gewesen.

"Freud – Jenseits des Glaubens": IRL/GB/USA 2023, 110 Min., ab heute im Kino

OÖN Bewertung:

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Autorin
Nora Bruckmüller
Redakteurin Kultur
Nora Bruckmüller
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